Von Stillingsøn aus geht es weiter gegen den Uhrzeigersinn um Orust herum. Die Abstände zwischen den Häfen sind hier gering und so lassen wir unser Tagesziel offen. Seit dem Ablegen zieht nurie eine dicke, graue Wolkenfront hinter sich her, vorbei an den vielen kleinen und großen Schären mit ihren hübschen kleinen Leuchtfeuern und Markierungen. Streng genommen sind Schären zwischen Orusts Ostküste und Festland eher die Ausnahme, stattdessen ist alles voller “Holmen”: Flatholmen, Kullholmen (lille und store), Björkholmen, Lindholmen, Oxholmen, Ekholmen, Hallholmen, Aspholmen, Tjällholmen, Krakholmen, Kollholmen,Brunnefjällsholmen, Korstensholmen, Bockholmen, Langholmen, Vadholmen, Bockholmen… Von wegen Schärenküste! Wir sinnieren über die Namensgebung der unzähligen Felseninseln. Ob wohl ein Stein eine bestimmtes Mindestmaß haben muss, um einen Namen zu erhalten? “Lindholmen” scheinen besonders häufig zu sein. Wie viele Inseln dieses Namens es auf der Welt wohl geben mag? Mehr als hundert, schätze ich. Und Miri bemerkt, das wäre ein Kandidat für die beliebte deutsche Samstagsabend-Show der 90er-Jahre gewesen, der sämtliche Schären der schwedischen Küste anhand eines Fotos mit Namen nennen kann.
Als wir hinter Brattön nach Westen abbiegen, holt uns die Wolkenfront ein. Zwar werden wir nun etwas nass, aber gegen den Regen haben wir unsere “Feuerwehrhüte” (Südwester) und dafür haben wir nun halben bis achterlichen Wind. Nur unter Fock passieren wir die hohe Brücke über den Nötesund. Der Regen nimmt zu und es wird diesig, wir beschließen, Henan anzulaufen. Dort angekommen ziehen wir die neue Hafenpersenning über den Baum, die leider schon unschöne Flecken aufweist, da ich sie vor der Abfahrt aus Neuendorf nass verstauen musste. Sie bleibt auch den ganzen folgenden Tag über dem Cockpit. Dichter Nebel und viel Regen halten uns in Henan fest. Und die Bordelektronik. Stundenlang versuche ich herauszufinden, weshalb die Batterie nicht aufgeladen wird und erst am Abend finde ich des Rätsels Lösung, als das an die Kabeltrommel angeschlossene Tablet beim Umschalten des Ladegeräts in den Lademodus immer wieder aufhört zu laden: weder ist die Batterie defekt, noch das Ladegerät und auch kein angeschlossener Verbraucher ziehen zuviel Strom. Der Stromanschluss am Steg liefert zu wenig!
Am Donnerstag klart es zunehmend auf und es geht weiter durch die Schären nach Lilla Kornö. Wir starten noch in dichtem Grau und erleben am Abend im malerischen Hafen von Klein-Kornö einen wolkenlosen Sonnenuntergang. Zum ersten Mal kommt die digitale Version unserer Seekarte zum Einsatz. Nuries exakte Position auf der Seekarte, Tiefenlinien und Betonnung ständig im Blick ist die Fahrt durch die engen Fahrwasser keine große Kunst. Dennoch würde sich an Passagen, wo wir die Felswände beinahe mit den Händen berühren können, ein Versteuern innerhalb weniger Sekunden rächen. Mit auf 2 Knoten reduzierter Fahrt schleicht nurie die engsten Stellen der eindrucksvollen Landschaft von Strömmarna entlang. Kurz überlegen wir, an Bassholmens Varv anzulegen. Wir merken den kleinen Hafen dann aber doch nur auf unserer Liste künftiger Reiseziele vor und fahren weiter, über den Gullmarn genannten Fjord, an Lysekill vorbei nach Lille Kornö. Die Schäreninseln in der Umgebung unterscheiden sich mit ihrem rötlichen Schimmer deutlich von den grauen Felsen um Marstrand.
Der Hafen Lille Kornö liegt nach allen Seiten windgeschützt. Wir trinken Kaffee auf der Mole, die Hafenpersenning neben uns zum trocknen ausgebreitet. Zwei Familien legen mit Motorbooten an und fahren nach einem kurzen Spaziergang wieder ab, als der Hafenmeister nach kurzer Ausfahrt mit seinem Fischkutter zurückkehrt. Eine rüstige Schwedin badet vor dem Fischerhafen. Weitere Hafengäste und Bewohner der gut ein Duzend Holzhäuser auf Lille Kornö bekommen wir nicht zu sehen. Einmal mehr – so scheint es – haben wir eine postkartenidyllsche Insel (fast) ganz für uns allein.