Seit Stralsund liegt der neue Zweitanker ohne Leine in der Backbordbackskiste. Nun, in den norwegischen Schären mit ihren unzähligen Ankerplätzen, ist es höchste Zeit, ihn einsatzbereit zu machen, Leine und Kette anzuschäkeln. Außerdem müssen wir am Morgen noch die Backstagsleine austauschen, die in den Häfen hochgeklappte Pinne hat daran gescheuert. Dann kann es los gehen.
Das neue Revier zeigt sich uns von seiner ruhigen Seite, mit fast glatter See und wenig Wind. Gemächlich geht es mit 3-4 Knoten voran, das Steuern erfordert unter diesen Umständen nicht die maximale Aufmerksamkeit, es bleibt viel Raum und Zeit für alle möglichen Betrachtungen.
Drei Ankerbuchten in der Gegend um Jomfruland haben wir als mögliche Tagesziele ausgesucht. Nach gut 7 Stunden Fahrt bleiben wir gleich in der ersten, vorsichtig tasten wir uns durch die schmale Einfahrt hinein und entdecken einen Schwimmponton. Daran machen wir zuerst fest. Jedoch ist laut Karte das Wasser an der Ostseite der Bucht bis dicht an den Fels tief genug. Also “parken” wir um. Mit Heckanker und zwei Leinen Bug voraus an die Schäre. Von hier aus können wir an Land hüpfen. Insgesamt vier Kreise zeichnet der GPS-Tracker auf, bis nurie zu unserer Zufriedenheit in der Bucht von Stutsholmen fest gemacht ist. Der zweite Anker bleibt weiter in der Kiste. Kurz darauf setzt Regen ein, der mit kurzen Unterbrechungen die ganze Nacht anhält. Die Regenpausen nutzen wir nacheinander für kurze Landausflüge, das heißt, wir klettern den Felsen hinauf und genießen den einmaligen Ausblick über die Bucht und vorgelagerte Schären. Die Ruhe und Einsamkeit. Alles Nötige haben wir an Bord. Alles, was über das Notwendige hinaus geht, das haben wir hier in der Bucht von Stutsholmen auch.
Seit Beginn der Reise erhalte ich täglich 24 Email-Nachrichten des deutschen Wetterdienstes. Die Übersicht für alle Vorhersagegebiete, sowie den ausführlichen Bericht für die Gebiete Südliche Ostsee, Westliche Ostsee, Belte und Sund, Kattegat und Skaggerak habe ich im vier mal täglich erscheinenden Newsletter abonniert. Ich lese ihn meist, bevor ich mich aus dem Schlafsack schäle, die Wind- und Wetterlage ist schließlich unsere zweite Uhr, jederzeit kann sie uns wach und aus den Kojen klingeln, besonders, wenn wir vor Anker liegen. Für heute meldet der DWD für das Skagerrak: Südost um 4, südwestdrehend, zunehmend 5 bis 6, Gewitterböen, See 1,5 Meter. Dann lass uns mal aufstehen und bald los, sage ich zu Miri um halb 8 und um 9 Uhr, als sich der morgendliche Nebel etwas verzogen hat, verlassen wir Stutsholmen Richtung Risør, Südwest. Hinter Jomfruland ist von den 4 Windstärken nichts zu spüren, dafür bemerken wir eine im Vergleich zu Schweden gänzlich veränderte Architektur. Anstelle der vielen rot gestrichenen Holzhäuser sehen wir auf den Schären hier fast ausschließlich Flachbauten in Schwarz und Grau mit viel Glas. Und augenscheinlich sehr neu.
Aus dem Windschatten von Jomfruland heraus macht nurie gleich runde 2 Knoten mehr Fahrt und ich den ersten Fischfang meines Lebens. Nicht mit der Rute, sondern mit der Schleppangel, drei Tage zuvor im Dorfladen von Sydkoster erstanden. Keine 15 Minuten hängt die Leine über Bord, da kann ich sie mit 4 Makrelen bestückt schon wieder einholen, wobei in meiner großen Aufregung zwei noch entwischen können.
Weshalb Risør auch die weiße Stadt genannt wird, leuchtet uns in der Ansteuerung schnell ein: Kaum ein Haus, das nicht blütenweiß bemalt wäre, die Stadt muss gerade eben noch in der Waschmaschine gesteckt haben. Und mitten darin, auf halber Hanghöhe liegt ein weiß bemalter Stein, den unser Norwegen-Handbuch als markante Landmarke bezeichnet. Miri hat ihn auch schon entdeckt, als mir ein seltsam flammenartiges Blinken auffällt, das sich später als Warnleuchte eines Baufahrzeugs herausstellt. Ich sehe den weißen Stein erst, als wir längst im Hafen sind und unser Abendessen beinahe ganz verloren ging: Zurück vom Gemüse-Einkauf konnten wir die zweite Makrele gerade noch vor einer Möwe schützen, die erste hatte sie bereits verschwinden lassen. Unserer Freude über den ersten eigenen Fang tat das wenig Abbruch (ein klein wenig konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, Miri hätte mit dem Vogel auch den zweiten Fisch bereitwillig mindestens geteilt). Ein Genuss mit Reis, Ratatouille und Zitrone, dazu eine kleine Dose des billigsten Bieres im Sortiment des Landes des teuersten Bieres und ein wolkenloser Sonnenuntergang.