28. Mai: Korsør-Kerteminde

Je länger der Hafenaufenthalt, desto schwerer fällt der Aufbruch. Diese Aussage ist als allgemeine Regel wohl kaum haltbar, heute jedoch, noch immer nicht ohne Schmerzmittel, trifft sie auf mich besonders zu. Etwas anderes dürfte dagegen vielen Seglern mit kleinen Booten bekannt sein: Je länger der Hafenaufenthalt, desto befreiender (im Kontrast zur engen Kajüte) ist die Weite der See.
Der DWD prognostiziert 4-5 Bft mit 1 m Wellenhöhe, Windfinder 4 Bft und 60 cm. Windrichtung ist Nordwest, wieder genau meine Zielrichtung. Deswegen will ich nach Südwest starten, dann die westliche Durchfahrt der Großer-Belt-Brücke passieren, um schließlich bis Kerteminde aufzukreuzen, wenn es gut läuft weiter.
Das Segel setzen geht heute besonders reibungslos, nur vom Cockpit aus – ohne auf das Vorschiff zu müssen – ziehe ich das Großsegel hoch. Die Fock bleibt noch unten, nurie macht auch ohne sie schon 5 Knoten fahrt nach Südwest, immer entlang der Großer-Belt-Brücke. Kurz nach 10 Uhr flaut der Wind ab und ich muss knapp südlich des Verkehrstrennungsgebietes den Motor starten, um einem nahenden Containerriesen nicht vor der Nase stehen zu bleiben. Ab und zu schaut die Sonne hinter einer dichten Wolkendecke hervor und um 11:22 wende ich nach Nordost zur Passage der westlichen Brückendurchfahrt. Knapp neben der westlichen Durchfahrtstonne stehend verärgert mich noch vor der Brücke ein Stellnetz. War dafür nirgendwo sonst Platz, werte(r) Kutterkapitän(in)?
Dicht hinter der Brücke setze ich auch die Fock und es wird gleich wieder ruppiger. Bei dieser Gegenströmung kommt nurie auf Am-Wind-Kurs kaum voran, unter diesen Umständen fällt mir die Entscheidung, nicht über Kerteminde hinaus Aufzukreuzen leicht und – Ziel beschlossen – freue ich mich sehr auf das dänische Segelzentrum.
Weshalb Kerteminde unter Seglern so beliebt ist, wird mir umso deutlicher, je näher ich dem Hafen komme. In der Kerteminde Bucht macht das Segeln einfach nur Spaß. nurie wendet wie eine Jolle, kaum auf dem anderen Bug ist sie schon wieder in voller Fahrt und auch als einziger Passagier auf zwei Tonnen Boot kann ich durch Ausreiten die Lage verändern. Fast bedaure ich ein wenig, dass die Hafeneinfahrt so schnell näherrückt.
Als alle Leinen fest sind, kommt Miri mir mit einer Nachricht zuvor: “Bist du in Mekka angekommen?”. Denn genau das wollte ich ihr soeben schreiben: ich bin in Mekka. Mein erster Blick an Land traf 3 aufgebockte Folkeboote. Ungleich mehr liegen hier bereits im Wasser. Und was sich kurz nach meiner Ankunft abspielt ist für Kerteminder wohl alltäglich, für mich aber ein großes Spektakel. Segler um Segler verlässt den Hafen für eine abendliche Ausfahrt oder Regatta. Und nicht ein Motor ist zu hören, gestartet und angelegt wird ausschließlich unter Segeln, wobei gerne auch in voller Fahrt erst zehn Meter vor der Box das Großsegel fällt. Ebenso schnell wie die Boote an den Stegen liegen, sind die Segel abgezogen und in Säcken verpackt. Und ich habe noch lange nicht ausgestaunt, da sitzt die Crew wohl längst wieder im heimischen Wohnzimmer auf der Couch.
Ein tolles Schauspiel, während ich koche und esse und zweimal mit dem Benzinkanister zur nahen Tankstelle laufe, noch immer leicht humpelnd. Das schon allein war die Reise wert und hat den letzten Ärger über meinen dummen Unfall in Korsør in Luft aufgelöst. Das seit dem frühen Abend auch wieder die Sonne lacht, erscheint mir da ganz folgerichtig.

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