Wir legen um 9 Uhr ab und bei gutem achterlichen Wind geht es gleich mit 6 Knoten im Schmetterling los, Skagen entgegen. Ein wenig flaut der Wind ab, dreht südöstlich, nimmt dann wieder zu, die Sonne verschwindet und taucht wieder auf. Bestes Segelwetter. Die etwa 60 Zentimeter (laut Windfinder-App) hohen Wellen, die sich unter nuries Rumpf nach Norden schieben, machen M. noch etwas zu schaffen, nichtsdestotrotz sitzt sie an der Pinne, kurz nachdem der Morgenkaffee über Bord wanderte. Die neue Skipperin wird sogleich in einem Minuten-Video verewigt.
Was wir aus größerer Entfernung zunächst für große städtische Gebäude gehalten haben, wird ab 10:30 Uhr immer deutlicher, je näher wir Skagen kommen: eine Menge großer Frachter und Tanker liegen vor dem Hafen vor Anker. Jedoch in ausreichendem Abstand zueinander, so dass kein zusätzliches Manövrieren bei der Hafeneinfahrt erforderlich wird. Allerdings setzt sich prompt eines dieser Schiffe in Bewegung, als wir daran vorbeifahren. Über Funk hören wir mit, dass ihm ein anderer Platz zugewiesen wird. Kurz vor der Hafeneinfahrt kommt uns ein Lotsenboot entgegen, das vorher dem Frachter funkte: “I´m a verry small boat, so I need to come along your leeward side…” Eine ordentliche Welle steht mittlerweile vor Skagen, glücklicherweise ablandig. Nach dem Segel bergen vor einer ankernden Dickschiff-Flotte schiebt uns unser Außenborder zuverlässig in den Hafen.
Kaum festgemacht ist meine Stimmung am Boden. 12 Tage sind seit dem Schienbein-Unfall in Korsør vergangen. Die Wunde war gut verheilt und ich freute mich darauf, nach der Ankunft und einer Dusche in Skagen die Fäden zu ziehen (der freundliche Arzt im Krankenhaus Slagelse hatte mir nicht nur das genaue Vorgehen erklärt, sondern auch das nötige “Werkzeug” mitgegeben…). Während dem Anlegen trat ich jedoch neben die Cockpit-Bank und schrammte präzise die frisch verheilte Wunde am rechten Schienbein entlang auf das Bodenbrett. Ein eiterndes Loch zwischen den wieder blutigen Nähten und ein heftiger Schmerz sind die Folgen, als schon die Hafenmeisterin herbeigeeilt ist und erklärt, dass wir hier nicht (wie zahlreiche andere Boote) längsseits am Steg liegen können. Fluchend werfe ich den Anker ins Hafenbecken und wir verholen nurie mit dem Bug an den Steg gegenüber. Fäden ziehen verschoben. Und für einen Arztbesuch ist es heute schon zu spät.
Auch die Fisch-Auktionshalle ist bereits geschlossen. Was wir nicht zu sehen bekommen, können wir umsomehr riechen, als wir in der Hoffnung, eine neue Gaspatrone für die unnötig ausgelöste Schwimmweste zu finden, durch den Industrie- und Fischereihafen spazieren. Der Schiffsausrüster ist noch offen und wir werden fündig.
Etwa zwei Stunden später sitzen wir an der Nordseeküste. Der Blick auf das offene Meer entschädigt schnell für die 4 km Fußweg mit schmerzendem Bein. Bilde ich es mir ein, oder sieht das hier wirklich grundsätzlich anders aus als die Ostsee?, frage ich Miri. Vermutlich ersteres. Der Respekt ist für uns als bisher reine Ostsee-Segler dennoch größer, angesichts dieses neuen, ungleich größeren Reviers. Die Vorfreude auch. Aber noch sind wir eine Weile auf Kattegat und Skagerrak unterwegs, entlang der schwedischen West- und norwegischen Südküste. Und dann werden wir sehen, wie weit die Reise geht, auf dem “großen” Meer.
Seinem Ruf als Party-Hafen wird Skagen gerecht, nach den vielen leeren Häfen haben wir hier das Gefühl, in der Hauptsaison angekommen zu sein. Viele Norweger sind hier, kaum ein Boot unter 12 Meter länge, auf den Hecks einiger Segel- und Motoryachten stapeln sich die Bierkästen.
7. Juni 2019: Hafentag in Skagen
Immerhin verzögert mein neuerlicher Unfall die Weiterfahrt nicht: das Wetter ist am nächsten Morgen ohnehin zu schlecht für die Fahrt nach Schweden. Nach einem nächtlichen Gewitter weht der Wind stark aus unserer Zielrichtung, zu stark für nurie. Nach dem Frühstück begleitet mich Miri zu einer örtlichen Arztpraxis. Die Krankenschwester entfernt drei der zwölf Fäden und verschreibt Penicilin. Die neue Wunde macht das Ziehen der übrigen Fäden unmöglich, meinen Selbstversuch am Morgen hatte ich schnell aufgegeben.
Auch Miri ist nicht hundertprozentig fit, die gestrige Seekrankheit wirkt noch etwas nach. Und so bummeln wir durch Skagen, verfolgen den Aufbruch eines Kreuzfahrtschiffes aus Bergen, dazwischen immer wieder die Wetterprognose, leisten uns eine Pizza, nehmen uns nach Besichtigung vor, bei einem erneuten Besuch den zweiten, südlicher gelegenen und viel ruhigeren Sportboothafen anzulaufen und bestaunen die vielen kleinen, mittelgroßen und großen und riesigen Fischkutter. Südliche Winde der Stärke 4-5 Beaufort sind für Morgen vorhergesagt, da sollten wir flott übers Kattegatt kommen.