Winterlager 2019/2020: Mast, Planke, Weiteres und Übliches

Mastsanierung und Plankentausch, das Übliche und Weiteres: Das war nuries Winterlager 2019/2020. Im Einzelnen:

Mastsanierung

Direkt nach unserer langen Reise haben wir uns im Herbst 2019 als erste Winterlagerarbeit den Mast vorgenommen. Sämtliche Beschläge abmontiert und gereinigt, dann den “Spargel” mit Abziehklinge, Spachtel und Heißluftfön aus dem Lack geschält. Die zahlreichen schwarzen Flecken saßen erfreulicherweise nur sehr oberflächlich am Holz und ließen sich leicht wegschaben oder schleifen. An etwas dickeren Flecken kam einer dieser Hand-Reibehobel zum Einsatz. So herausgeputzt sah der Mast fast wie frisch geleimt aus. Nach 7 mal Lackieren und dem Wiederverschrauben der Beschläge überließen wir ihn dem Winterschlaf.

Plankentausch

Vor der Saison, im Frühjahr 2020 wagten wir uns dann erstmals an den Austausch von Holz am Rumpf. Wenn die Steuerborddeckskante bei Schräglage ins Wasser tauchte, drang eindeutig zu viel davon ins Boot. Die Oberkante der Decksplanke auf Höhe des Püttingeisens war unter der Scheuerleiste auf ca einem halben Meter Länge weich geworden. Beim Herauspulen wurde das Loch immer größer. Und so wich der ursprüngliche Plan, ein Pass-Stück in die Planke einzukleben, dem Projekt, gleich ein ganzes Plankenstück zu ersetzen.

Für unsere Premiere des Austauschs eines Plankenstücks (zum Ausprobieren…) war der Schaden an der obersten Steuerbordplanke nicht die übelste Stelle. Einerseits liegt keine weitere Planke oberhalb, was das Abnehmen und – da nur eine Landung zu berücksichtigen ist – die Einpassung erleichtert. Außerdem weist die Decksplanke mittschiffs eine geringe Krümmung auf. Und so ließ sich der Austausch auch (fast) mit unserer begrenzten Werkzeugausstattung bewältigen. Nur einen Nietenkopfmacher und Niethammer haben wir neu erworben. Das neue Plankenstück aus Kiefer war dann wieder zum Großteil eine Wohnzimmerproduktion, zur Sicherheit in zweifacher Ausführung.

Das Übliche und Weiteres…

Neben den beiden größeren Arbeiten stand auch Anfang 2020 wieder die übliche Arbeit an. Unterwasserschiff abschleifen, Risse spachteln und neues Antifouling streichen. Überwasserplanken lackieren und Wasserlinie malen.

Außerdem habe ich den Heckspiegel diesmal ganz frei gelegt, gespachtelt, neu grundiert und lackiert. Dabei wurde eine Überraschung sichtbar: ein weiterer, uns noch unbekannter früherer Bootsname. <<Nurie>> hat also (mindestens) drei “Vornamen”: <<Sirocco>>, der Erstname, <<Gecko>> und zuletzt <<Blaubär>>.

26. Juni 2019: Kristiansand-Skjernøy

“Sensational spectacular”! Mit diesen Worten preist unser Revier-Guide die Bucht vor Farestad auf Skjernøy an. Und wir stimmen zu, als wir nach 7 Stunden und 25 Seemeilen Schärensegeln Rosnesvågen erreichen. Nur, wo bleiben wir? Es wäre doch zu schade, hier vor Anker zu liegen und nicht an Land gehen zu können. Auf gut Glück machen wir hinter einem Zweimaster an der Terasse eines leuchtend roten Holzhauses fest und fragen eine einheimisch wirkende Frau, die gerade ihr Auto geparkt hat: “do you know, if we can stay here for a night?” – Of course you can, and yes I know, because I live in that house… antwortet sie ohne Zögern. Kurz darauf kommen auch ihr Mann und Sohn vom Fischen zurück und begrüßen uns freundlich auf der südlichsten bewohnten Insel Norwegens.

Unter mittlerweile wolkenlosem Himmel umrunden wir die einzigartige Bucht – die neue Fußgänger-Hängebrücke macht das möglich. Außer einer Handvoll Spaziergänger und Jogger begegnen uns nur Schafe. Und auffallend viele Schmetterlinge. Am Ende der Bucht ist ein kleiner öffentlicher Hafen, aufgrund der Brückenhöhe und Wassertiefe können jedoch nur kleinere Motorboote dort liegen.

Am Abend sitzen wir mit unseren Gastgebern auf deren Terrasse zusammen. Es ist der erste richtige Sommertag 2019, wie Tajos Frau bemerkt. Dazu erzählt sie den Witz vom Norweger, der einen ganzen Sommer verpasste, weil er kurz auf der Toilette war, schränkt aber gleich ein, der vorige Sommer sei auch auf Skjernøy lang und warm gewesen. “Weather – yes, we have plenty of it” erklärt Tajo gelassen und antwortet auf meine Frage nach den vorherrschenden Windverhältnissen der Westküste: “usually it´s storm from west”.

Die Drei teilen ihr Abendessen mit uns: fangfrische Krabben. Wir essen sie direkt aus der Schale. Brechen, Knacken, Aussaugen, so die Theorie. In der Praxis gelingt uns das noch nicht so recht und unsere Bemühungen sorgen für einige Erheiterung. Später, als es bereits wieder kühl geworden ist, werde ich noch auf eine Bootsbesichtigung eingeladen. Wie auch das Haus wurde der Zweimaster “Glade Vanvidd” von Tajo selbst erbaut. Definitiv ein Schiff, kein Boot. Eines das durch sein klassisches Rigg und die schönen hölzernen Auf- und Innenausbauten fast etwas älter wirkt, als es tatsächlich ist, so mein Eindruck.

Auf Nachfragen nach unserem Reiseziel antworten wir seit vielen Tagen: as far north as possible. Und fahren doch immer weiter nach Südwesten. Hinter Skjernøy, um Lindesness herum geht es nun tatsächlich nordwärts weiter. Spätestens übermorgen, hoffen wir, glücklich in den Kojen, gleichermaßen beeindruckt von Skjernøys Schönheit und der Gastfreundschaft, die uns hier begegnete.

24.-25. Juni 2019: Sagesund – Grimstad -Kristiansand

24. Juni

Um 11 Uhr vormittags ist alles wieder gut. Der Motor ist repariert. Der junge Mechaniker des Fjordcenteret suchte zuerst mit einer in den Schaft geführten Kamera nach Blockade-Ursachen. Als er nichts fand hebelte er die Kurbelwelle mit schwerem Werkzeug auf. Ein Problem mit der Zündung hatte den Ausfall verursacht. Wir sollen den Motor einige Zeit laufen lassen, rät er uns noch.

Das tun wir unverzüglich, erst als nach einer Stunde der Oksefjord achteraus liegt, setzen wir die Segel. Auch unser eigentlicher Motor, der Wind, schiebt heute kräftig. Wir segeln die kürzere Außenroute an Tromøy vorbei nach Grimstad. Begegnen zum zweiten Mal Schweinswalen, in vertikaler Kreisbewegung sehen wir ihre Rückenflossen durch die Wellen schneiden. Wieder beschert uns die köderlose Schleppangel einen reichlichen Makrelenfang und wieder können einige während des Einholens entwischen. Ich stelle mich besonders ungeschickt an: von vier Fischen verliere ich drei wieder. Miris Quote: von Dreien geht nur Einer wieder über Bord.

Nach gut 6 Stunden liegt Grimstad vor uns, wo Ibsen einst zum Apotheker ausgebildet wurde. Wenig Betrieb und viel Platz ist im Hafen. Wir legen nurie neben Nisser, einem deutschen Fahrtensegler mit festem Steuerhaus achtern. Das Ibsen-Museum ist bereits geschlossen, ebenso das Café Ibsen, zugleich Hafenkontor des Gästehafens. Sonntäglich gemütlich wirkt die Stadt auf uns, als wir durch die kleine Fußgängerzone schlendern. Die Makrelen essen wir dieses Mal mit Zwiebeln, Dill, Tomaten und Zitrone. Köstlich. Gar ein klein wenig zu viel. Vermutlich haben wir uns beide nie zuvor an Fisch so satt gegessen.

25. Juni

28,8 Seemeilen in 6 Stunden 20 Minuten. Mit den neuen Segeln sind wir in allen Windverhältnissen schneller unterwegs als in den Vorjahren. Allerdings haben sie auch schon ein wenig gelitten: gestern entdeckten wir ein centgroßes Loch auf Höhe der Jumpstage – und tapten es auch gleich. Die Spreizen müssen es beim Halsen hineingeschlagen habe.

Als wir mit jeder achterlich schiebenden Welle die 7 Knoten Geschwindigkeit überschreiten, bergen wir die Fock. Zahlreiche schmale Schären-Durchfahrten später erreichen wir kurz nach 17 Uhr Kristiansand.

Mit seinen knapp 100.000 Einwohnern ist Kristiansand weniger groß als weit. Von der vorgelagerten Insel Flekkerøy dehnt sich die Stadt entlang der Küste über die Otra und den Topdalsfjord auf knapp 280 Quadratkilometer. Das ergibt eine Bevölkerungsdichte von 333 Einwohner pro Quaddratkilometer. Die Festung Christiansholm liegt unmittelbar am Hafen, dahinter entstehen große Wohnblocks. Ganz ähnlich wie in der Berliner Europa-City sieht das aus. Wir spazieren durch die Kvadraturen, die quadratisch angelegten Straßenzüge der Innenstadt, verweilen auf einer Bank am Rathausplatz, bis erneut Regen einsetzt. Und so kochen und schlafen wir unter dem Persenningzelt.

21. – 23. Juni 2019: Risør – Halsen – Sagesund

21. Juni

Wie Tags zuvor ist es heute zunächst diesig und regnerisch, zum Abend hin verflüchtigen sich die Wolken mehr und mehr und schließlich ganz. Dazu viel Wind aus Südwest, zu viel vor der Küste. Kein Segler verlässt den Hafen, auch nicht der Einhandsegler, der mit seiner 22-Fuß Sun kurz nach uns in Risør angekommen war und vor nuries Bug festgemacht hatte. In Risør legte er seinen ersten Hafentag seit Trondheim ein, wo er vor 3 Wochen startete. Ich lade ihn auf ein Bier ein, wir sitzen in nuries Cockpit zusammen, dann zeigt er uns sein Boot. Es ähnelt nurie, alles Nötige ist vorhanden, mehr nicht, der Rumpf ein paar Zentimeter kürzer, die Kajüte dennoch etwas geräumiger: die Freibordhöhe von Folkebooten ist schwer zu unterbieten. Als Einhandsegler benutzt Rolf einen Pinnenpiloten, um nicht permanent am Steuer sitzen zu müssen (eben so ein Gerät habe ich kurz vor der Abreise gebraucht erstanden, seine Installation steht allerdings noch immer auf der ToDo-Liste – etwas weiter unten, vierhändig brauchen wir es eigentlich nicht). Unter strahlender Abendsonne fand eine Schärenkreuzer-Regatta statt, außerdem konnten wir der Crew einer 420er-Rennjolle beim Training zuschauen. Die Weltmeisterschaft dieser Bootsklasse findet in diesem Jahr in Risør statt.

22. Juni

Noch immer weht der Wind aus unserer Zielrichtung, jedoch nur noch mit 4 Beaufort. Von Risør aus müssen wir zunächst ein Stück auf offener See zurücklegen, bevor wir wieder in die ruhigeren Schärenfahrwasser abbiegen können. Weniger Seegang haben wir da, aber auch weniger Platz. Wir wechseln uns an der Pinne ab und wenden im Minuten-Takt. Nordwestlich von Askerøya liegt eine unter hundert Meter breite Engstelle. Um Hektik angesichts der uns zahlreich und schnell passierenden Motorboote zu verhindern starte ich den Außenborder. Er schiebt uns gut durch das schmale Fahrwasser, mehr aber nicht, kaum sind wir durch, fällt er aus. Nach erster Fehlersuche vermute ich die Zündung als Fehlerquelle. Und tatsächlich springt der Motor wieder an, nachdem ich die Zündkerze ausgetauscht habe. Keine Minute später ist er jedoch wieder aus. Zur ausführlicheren Fehlersuche (ohne Schräglage) steuern wir die nächste Anlegemöglichkeit an, den kleinen Steg der örtlichen Fischer- und Freizeitboote vor Halsen. Wie sich herausstellt sitzt die Kurbelwelle fest. Kein gutes Zeichen. Was tun? Wir fragen einen norwegischen Skipper und seine Frau, die gerade die Steile Treppe zum Steg hinabgestiegen sind, nach Motorenwerkstätten in der Nähe. Sie nennen uns zwei Möglichkeiten, Sagesund und Gjeving, jeweils unter 10 Seemeilen entfernt. Gjeving haben wir schon passiert, bei dem aktuellen Wind wären wir dort leicht und schnell, allerdings nicht vor 16 Uhr. Und es ist Samstag.

Warum bleibt ihr nicht?, fragen die beiden, unserer Frage zuvorkommend. Wir bleiben und streifen durch die Wälder von Halsen, das ausschließlich aus jungen Wohnhäusern und neuen Straßen besteht. Es gibt zwar eine Bushaltestelle, Busse fahren jedoch nur wochentags alle paar Stunden. Wir nehmen uns vor, wenn möglich morgen weiter nach Sagesund zu segeln, dort Montag früh den Motorservice aufzusuchen und wundern uns – angesichts der unverhofften Entdeckung dieser sagenhaften Landschaft nur kurz – über unsere blendende Laune trotz der Panne.

23. Juni

Wozu eigentlich dieser Außenborder? Nach Sagesund kommen wir gut ohne. Wir starten mit der Fock in Halsen, wenden (Dinge, die ich immer schon tun wollte, ohne es zu ahnen, unter anderem: Wenden in Halsen!), setzen das Großsegel dazu, kreuzen zwischen Borøya und Sandøya auf bis an Borøyas Südspitze, fallen ab, lassen uns gemütlich aber nicht langsam bis vor das Motorcenter Sagesund treiben und haben nach 9 Seemeilen, 2 1/4 Stunden noch viel übrig von diesem Sonntag. Für einen ausgiebigen Spaziergang, wie schon in Halsen viel bergauf und bergab. Und für leidige Motorgedanken. Sicher wollen wir möglichst darauf verzichten. Aber ganz ohne wären wir nicht hier. Jedenfalls noch nicht. Und in diesem für uns neuen Revier mit seinen vielen engen Schärenfahrwassern, schwankenden Strömungen und “Dangerous Waves”-Gebieten wollen wir nicht gänzlich windabhängig sein.

Immerhin scheinen wir uns im El Dorado der Außenbordmotoren aufzuhalten. Auf ein Segelboot kommen geschätzt zwanzig offene und geschlossene Motorboote, seit wir Norwegens Südküste befahren. Entsprechend häufig sind Tankstellen und Motorwerkstätten. Ich befürchte das schlimmste. Zu mehr als Mutmaßungen reichen meine Laienkentnisse nicht aus. Da die Kurbelwelle unseres “Mirakulix” keinen Millimeter zu bewegen ist, glaube ich kaum, dass er noch zu retten sein wird und suche nach Alternativen, im Netz und im Schaufenster des Motorcenter. Es öffnet morgen früh um 7 Uhr, bis Mittag wissen wir dann hoffentlich mehr.

19. – 20. Juni 2019: Verdens Ende – Stutsholmen – Risør

Seit Stralsund liegt der neue Zweitanker ohne Leine in der Backbordbackskiste. Nun, in den norwegischen Schären mit ihren unzähligen Ankerplätzen, ist es höchste Zeit, ihn einsatzbereit zu machen, Leine und Kette anzuschäkeln. Außerdem müssen wir am Morgen noch die Backstagsleine austauschen, die in den Häfen hochgeklappte Pinne hat daran gescheuert. Dann kann es los gehen.

Das neue Revier zeigt sich uns von seiner ruhigen Seite, mit fast glatter See und wenig Wind. Gemächlich geht es mit 3-4 Knoten voran, das Steuern erfordert unter diesen Umständen nicht die maximale Aufmerksamkeit, es bleibt viel Raum und Zeit für alle möglichen Betrachtungen.

Drei Ankerbuchten in der Gegend um Jomfruland haben wir als mögliche Tagesziele ausgesucht. Nach gut 7 Stunden Fahrt bleiben wir gleich in der ersten, vorsichtig tasten wir uns durch die schmale Einfahrt hinein und entdecken einen Schwimmponton. Daran machen wir zuerst fest. Jedoch ist laut Karte das Wasser an der Ostseite der Bucht bis dicht an den Fels tief genug. Also “parken” wir um. Mit Heckanker und zwei Leinen Bug voraus an die Schäre. Von hier aus können wir an Land hüpfen. Insgesamt vier Kreise zeichnet der GPS-Tracker auf, bis nurie zu unserer Zufriedenheit in der Bucht von Stutsholmen fest gemacht ist. Der zweite Anker bleibt weiter in der Kiste. Kurz darauf setzt Regen ein, der mit kurzen Unterbrechungen die ganze Nacht anhält. Die Regenpausen nutzen wir nacheinander für kurze Landausflüge, das heißt, wir klettern den Felsen hinauf und genießen den einmaligen Ausblick über die Bucht und vorgelagerte Schären. Die Ruhe und Einsamkeit. Alles Nötige haben wir an Bord. Alles, was über das Notwendige hinaus geht, das haben wir hier in der Bucht von Stutsholmen auch.

Seit Beginn der Reise erhalte ich täglich 24 Email-Nachrichten des deutschen Wetterdienstes. Die Übersicht für alle Vorhersagegebiete, sowie den ausführlichen Bericht für die Gebiete Südliche Ostsee, Westliche Ostsee, Belte und Sund, Kattegat und Skaggerak habe ich im vier mal täglich erscheinenden Newsletter abonniert. Ich lese ihn meist, bevor ich mich aus dem Schlafsack schäle, die Wind- und Wetterlage ist schließlich unsere zweite Uhr, jederzeit kann sie uns wach und aus den Kojen klingeln, besonders, wenn wir vor Anker liegen. Für heute meldet der DWD für das Skagerrak: Südost um 4, südwestdrehend, zunehmend 5 bis 6, Gewitterböen, See 1,5 Meter. Dann lass uns mal aufstehen und bald los, sage ich zu Miri um halb 8 und um 9 Uhr, als sich der morgendliche Nebel etwas verzogen hat, verlassen wir Stutsholmen Richtung Risør, Südwest. Hinter Jomfruland ist von den 4 Windstärken nichts zu spüren, dafür bemerken wir eine im Vergleich zu Schweden gänzlich veränderte Architektur. Anstelle der vielen rot gestrichenen Holzhäuser sehen wir auf den Schären hier fast ausschließlich Flachbauten in Schwarz und Grau mit viel Glas. Und augenscheinlich sehr neu.

Aus dem Windschatten von Jomfruland heraus macht nurie gleich runde 2 Knoten mehr Fahrt und ich den ersten Fischfang meines Lebens. Nicht mit der Rute, sondern mit der Schleppangel, drei Tage zuvor im Dorfladen von Sydkoster erstanden. Keine 15 Minuten hängt die Leine über Bord, da kann ich sie mit 4 Makrelen bestückt schon wieder einholen, wobei in meiner großen Aufregung zwei noch entwischen können.

Weshalb Risør auch die weiße Stadt genannt wird, leuchtet uns in der Ansteuerung schnell ein: Kaum ein Haus, das nicht blütenweiß bemalt wäre, die Stadt muss gerade eben noch in der Waschmaschine gesteckt haben. Und mitten darin, auf halber Hanghöhe liegt ein weiß bemalter Stein, den unser Norwegen-Handbuch als markante Landmarke bezeichnet. Miri hat ihn auch schon entdeckt, als mir ein seltsam flammenartiges Blinken auffällt, das sich später als Warnleuchte eines Baufahrzeugs herausstellt. Ich sehe den weißen Stein erst, als wir längst im Hafen sind und unser Abendessen beinahe ganz verloren ging: Zurück vom Gemüse-Einkauf konnten wir die zweite Makrele gerade noch vor einer Möwe schützen, die erste hatte sie bereits verschwinden lassen. Unserer Freude über den ersten eigenen Fang tat das wenig Abbruch (ein klein wenig konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, Miri hätte mit dem Vogel auch den zweiten Fisch bereitwillig mindestens geteilt). Ein Genuss mit Reis, Ratatouille und Zitrone, dazu eine kleine Dose des billigsten Bieres im Sortiment des Landes des teuersten Bieres und ein wolkenloser Sonnenuntergang.

18. Juni 2019: Sydkoster – Verdens Ende

Vorbei am Leuchtturm Færder laufen wir auf die Küste zu, noch 3-4 Knoten schnell. Um 10:30 Uhr legten wir ab, setzten das Großsegel vor dem Hafen Vettnet und machten aus dem Landschutz heraus bei angenehmer (Definition Skipper, Abweichungen der Crew-Definition möglich) seitlicher Welle um die 5 Knoten, sodass wir die Fock nicht setzten.

Um 11:40 Uhr sahen wir die ersten Robben auf unserer Tour. Jetzt ist es 15:10 Uhr, wir sind in Norwegen und vor uns liegt…das Ende der Welt. So heißt der Hafen, den wir ansteuern: Verdens Ende. Und wir stellen fest, sie hat mindestens zwei Enden, die Welt (denn eines kennen wir bereits: es liegt im Schlosspark Schwetzingen nahe Heidelberg). Unverklärt ist Verdens Ende eher das Ende Norwegens, seine Lage an der Südspitze der Insel Tjøme macht es zu einem der von Schweden aus am schnellsten zu erreichenden Häfen der auch “Holiday Coast” genannten Südküste des Landes und vom Nordkapp aus betrachtet liegen nur noch der Oslofjord und sein östlicher Rand auf dem Seeweg weiter entfernt.

Der Hafen ist zweigeteilt: die eine Seite ist der Fischerei vorbehalten, auf der anderen liegen Fähranleger und Gästehafen. Der Gästehafen ist beinahe leer, als wir einlaufen und alles hier ist felsig karg und sehr neu. Ganz anders und viel größer als in Schweden sind die Schären, behaupten wir in der ersten Begeisterung des Ankommens. Hungrig sind wir allerdings ebensosehr wie in Schweden und wie überall nach dem Segeln, und als neben uns Gäste mit einer kleinen Touristenfähre zum Abendessen in der Worlds End Spiseriet anlanden, sind unsere Bratkartoffeln schon fertig. Noch zuvor, beim Zusammenrollen der Segel, wurde nurie von einem deutschen Pärchen bestaunt, dass seinen Urlaub in Südnorwegen verbringt. Jawohl, nicht groß, aber ein tolles Boot für Kattegat und Skagerrak und wer weiß was noch?

Unmittelbar am Hafen liegt das 2015 eröffnete Nationalparkzentrum, Verdens Ende ist Teil des Færder Nationalparks. Neue Schwimmstege liegen bereit zur Montage an Land. Etwas älter ist einzig ein Wahrzeichen des Ortes: das Wippfeuer, eine kleine Steinhütte mit Korblaterne auf dem Dach. 1932 errichtet, beherbergt das Vippefyret angeblich den weisen Wichtel “Grånissen”. Leider ist er momentan außer Haus, und auch das Feuer bleibt in der Nacht aus, aber aus den kleinen Fenstern der Hütte haben wir einen einzigartigen Ausblick über den Hafen und die See.

Wie viele Enden die Welt auch haben mag, wir sind glücklich, es mit der kleinen nurie bis an dieses eine geschafft zu haben, glücklich, dass wir uns doch für diese Route anstelle einer reinen Ostsee-Tour entschieden haben. Verdens Ende ist für uns ein kleiner Neustart der Reise. Ein Ziel, bis Norwegen zu kommen, haben wir erreicht. Das nächste lautet: so weit nach Norden, wie möglich. Das heißt allerdings, zuerst nach Süden, bis Kristiansand. Um Lindesness und Lista. Und dann… Wir werden sehen.

16. Juni 2019: Havsten – Sydkoster

Unsere erste Nacht in freier Natur liegt hinter uns. Dunkel erinnere ich mich beim Einholen unseres Ankerlichts – einer roten Öllaterne – an leichten Regen in der Nacht. Ich mag diese Öllaterne – wie alles, was ohne Strom funktioniert. Es wäre schön, ganz ohne auszukommen, allerdings sind vor allem die automatische Bilgepumpe und das GPS schon eine große Erleichterung.

Eine weitere Regenfahrt steht uns bevor, jedoch nur eine kurze. Wir wollen nach Sydkoster, etwa 10 Meilen von Havsten entfernt. Die größere der beiden Kosterinseln liegt inmitten Schwedens artenreichstem Gewässer und ist ein guter Ausgangspunkt für den Schlag nach Norwegen. Eigentlich müssten wir Koster schon sehen können, als wir das Schärenfahrwasser hinter Lindön und Resö verlassen. Tatsächlich ist die Sicht erheblich eingeschränkt, dichter Nebel steht vor der Küste. Die schmale Einfahrt in den Hafen Ekenäs ist jedoch gut betonnt und nach drei Stunden vorwiegend Fahrt vorwiegend im Schmetterling liegt nurie um 13 Uhr in einer der zahlreichen freien Boxen.

Weniger der Wind, vielmehr der Seegang hält uns am nächsten Tag von der Weiterfahrt ab. Wir spazieren stundenlang über die Insel, zunächst auf der Hauptstraße, dann auf farblich markierten Wanderrouten. Motorisiert ist Koster vorwiegend elektrisch, fast ausschließlich kleine Club-Cars verkehren auf der Insel. Eine knallgelbe kleine Fähre überbrücken den rund hundert Meter breiten Sund zwischen Syd- und Nordkoster, eine schnelle Zweirumpf-Fähre verbindet Koster mit Strömstad auf dem schwedischen Festland. Wir setzen uns an den Sandstrand und beobachten das Hafentreiben. Eine Tafel weist auf das schwere Schicksal einer Distelart hin: weder auf ungünstiges Klima noch auf Bedrohung durch andere Pflanzen- und Tierarten sei ihr Populationsrückgang zurückzuführen, sondern vielmehr auf die schlichten Tatsache, dass sie der Menschheit optisch und haptisch nicht gefällt. Zurück am Hafen ist das naturum-Besucherzentrum bereits wieder geschlossen. Zwei kleine Schweden wuseln mit ihren Angelruten auf den Stegen herum, alle paar Minuten ruft einer der beiden “Makarel, Makarel” und zieht dann doch nur etwas Schilf aus dem Wasser. Wir bewundern die Wurfweite des kleineren der beiden Jungen: Kaum einen Meter groß wirft er seine Angelschnur lässig und gekonnt weit ins Hafenbecken. An die 30 Meter weit, schätze ich, und unternehme meinerseits einen weiteren Versuch mit der neuen Angelrute, nach Marstrand und Havsten der dritte. Zwar wieder ohne Ausbeute, aber immerhin gelingt das Auswerfen immer besser.

14.-15. Juni 2019: Lille Kornö – Kungshamn – Havsten

Trotz Antibiotika-Pillen und -Salbe hat sich meine Schienbeinwunde nach dem Sturz in Skagen weiter entzündet. Kein schöner Anblick. Ich muss also auch in Schweden noch einmal zum Arzt. Die nächste vårdcentral ist in Kungshamn. In zwei Stunden sind wir dort. Zehn Minuten Fußweg, kaum zehn Minuten Wartezeit und weitere zehn Minuten später hat eine freundliche schwedische Krankenschwester die übrigen Fäden aus der offenen Wunde entfernt. Schmerzhaft, aber eine große Erleichterung. Zur Feier des Tages essen wir auswärts: im hafennahen Pizza- und Kebapimbiss.

Der folgende Tag beschert uns viel Sonne und guten Segelwind. Zu gut, um den Sotenkanal zu befahren. Mag der schmale Kanal landschaftlich noch so reizvoll sein, Segeln ist hier verboten, und so drehen wir vorher ab hinaus auf das Skagerrak. Und bemerken es nicht: das ist nuries Premiere, mit uns auf dem Skagerrak. Auch den Hamburgsund lassen wir Hamburgsund sein und fahren erst wieder mit Ansteuerung des Leuchtturms Väcker in die Schären.

Irgendwo um Havsten herum wollen wir ankern. Die Auswahl fällt nicht leicht, ein Platz ist schöner als der andere. Wir sehen uns alles an, fahren weit in den Sannäsfjord hinein, drehen um und machen direkt am Fels an der Ostseite von Havsten fest. Im Vorbeifahren hatten wir die Lücke entdeckt. Sie erweist sich als tief genug und wie für nurie gemacht. Bug- und heckseitig sind dicke Ringe in den Felsen zementiert. Wegen naher Unterwasserkabel bringen wir keinen Anker aus. Der Wind weht jedoch ablandig und laut Prognose ist bis Morgen keine Änderung zu erwarten. Die erste “Heckleinenwache” übernimmt spontan eine Möwe. Pesto-Nudeln gibt es trotzdem nur für uns. Die Badesaison starten wir noch nicht, obwohl, warm genug sind sowohl Luft als auch Wasser… Aber mit meinem Schienbein habe ich einen klaren Hinderungsgrund und Miri bleibt solidarisch.

11.-13. Juni 2019: Stillingsøn – Henan – Lilla Kornö

Von Stillingsøn aus geht es weiter gegen den Uhrzeigersinn um Orust herum. Die Abstände zwischen den Häfen sind hier gering und so lassen wir unser Tagesziel offen. Seit dem Ablegen zieht nurie eine dicke, graue Wolkenfront hinter sich her, vorbei an den vielen kleinen und großen Schären mit ihren hübschen kleinen Leuchtfeuern und Markierungen. Streng genommen sind Schären zwischen Orusts Ostküste und Festland eher die Ausnahme, stattdessen ist alles voller “Holmen”: Flatholmen, Kullholmen (lille und store), Björkholmen, Lindholmen, Oxholmen, Ekholmen, Hallholmen, Aspholmen, Tjällholmen, Krakholmen, Kollholmen,Brunnefjällsholmen, Korstensholmen, Bockholmen, Langholmen, Vadholmen, Bockholmen… Von wegen Schärenküste! Wir sinnieren über die Namensgebung der unzähligen Felseninseln. Ob wohl ein Stein eine bestimmtes Mindestmaß haben muss, um einen Namen zu erhalten? “Lindholmen” scheinen besonders häufig zu sein. Wie viele Inseln dieses Namens es auf der Welt wohl geben mag? Mehr als hundert, schätze ich. Und Miri bemerkt, das wäre ein Kandidat für die beliebte deutsche Samstagsabend-Show der 90er-Jahre gewesen, der sämtliche Schären der schwedischen Küste anhand eines Fotos mit Namen nennen kann.

Als wir hinter Brattön nach Westen abbiegen, holt uns die Wolkenfront ein. Zwar werden wir nun etwas nass, aber gegen den Regen haben wir unsere “Feuerwehrhüte” (Südwester) und dafür haben wir nun halben bis achterlichen Wind. Nur unter Fock passieren wir die hohe Brücke über den Nötesund. Der Regen nimmt zu und es wird diesig, wir beschließen, Henan anzulaufen. Dort angekommen ziehen wir die neue Hafenpersenning über den Baum, die leider schon unschöne Flecken aufweist, da ich sie vor der Abfahrt aus Neuendorf nass verstauen musste. Sie bleibt auch den ganzen folgenden Tag über dem Cockpit. Dichter Nebel und viel Regen halten uns in Henan fest. Und die Bordelektronik. Stundenlang versuche ich herauszufinden, weshalb die Batterie nicht aufgeladen wird und erst am Abend finde ich des Rätsels Lösung, als das an die Kabeltrommel angeschlossene Tablet beim Umschalten des Ladegeräts in den Lademodus immer wieder aufhört zu laden: weder ist die Batterie defekt, noch das Ladegerät und auch kein angeschlossener Verbraucher ziehen zuviel Strom. Der Stromanschluss am Steg liefert zu wenig!

Am Donnerstag klart es zunehmend auf und es geht weiter durch die Schären nach Lilla Kornö. Wir starten noch in dichtem Grau und erleben am Abend im malerischen Hafen von Klein-Kornö einen wolkenlosen Sonnenuntergang. Zum ersten Mal kommt die digitale Version unserer Seekarte zum Einsatz. Nuries exakte Position auf der Seekarte, Tiefenlinien und Betonnung ständig im Blick ist die Fahrt durch die engen Fahrwasser keine große Kunst. Dennoch würde sich an Passagen, wo wir die Felswände beinahe mit den Händen berühren können, ein Versteuern innerhalb weniger Sekunden rächen. Mit auf 2 Knoten reduzierter Fahrt schleicht nurie die engsten Stellen der eindrucksvollen Landschaft von Strömmarna entlang. Kurz überlegen wir, an Bassholmens Varv anzulegen. Wir merken den kleinen Hafen dann aber doch nur auf unserer Liste künftiger Reiseziele vor und fahren weiter, über den Gullmarn genannten Fjord, an Lysekill vorbei nach Lille Kornö. Die Schäreninseln in der Umgebung unterscheiden sich mit ihrem rötlichen Schimmer deutlich von den grauen Felsen um Marstrand.

Der Hafen Lille Kornö liegt nach allen Seiten windgeschützt. Wir trinken Kaffee auf der Mole, die Hafenpersenning neben uns zum trocknen ausgebreitet. Zwei Familien legen mit Motorbooten an und fahren nach einem kurzen Spaziergang wieder ab, als der Hafenmeister nach kurzer Ausfahrt mit seinem Fischkutter zurückkehrt. Eine rüstige Schwedin badet vor dem Fischerhafen. Weitere Hafengäste und Bewohner der gut ein Duzend Holzhäuser auf Lille Kornö bekommen wir nicht zu sehen. Einmal mehr – so scheint es – haben wir eine postkartenidyllsche Insel (fast) ganz für uns allein.

10. Juni 2019: Marstrand-Stillingsøn(Orust)

Mit der Insel Orust haben wir unter wolkenlosem Himmel ein Ziel dieser Reise schon erreicht: die Baustätte unseres Folkeboots. 1966 wurde nurie hier von Mats Seldén gebaut. Insgesamt baute Seldén zwischen 1962 und 1968 144 Folkeboote, das heißt ca. 20 Stück jährlich, wie auf “julleregister.se” zu erfahren ist. Wo genau, das wissen wir leider nicht. Orust ist Schwedens drittgrößte Insel und als eines der Hauptzentren des schwedischen Bootsbaus voller Werften. Aber wir haben den Klassenbrief als Anhaltspunkt. “Rövenäs Stillingsøn” steht dort unter “Byggested”. Stillingsøn finden wir schnell auf unserer Seekarte, allerdings ist dort kein Hafen verzeichnet. Eine Satellitenaufnahme zeigt aber, dass doch zumindest Anlegemöglichkeiten vorhanden sind. Mit “Rövenäs”- der Klassenbrief ist in dänischer Sprache verfasst – wird zweifellos Buvenäs gemeint sein, die Gemeinde, zu der auch Stillingsøn zählt.

Wir beschließen, Stillingsøn direkt anzusteuern. Und finden dort tatsächlich einen sehr schönen kleinen Hafen mit ausreichend Tiefgang. Die Hafenmeisterin ist nicht vor Ort, heißt uns aber am Telefon willkommen und informiert uns auf deutsch über den Hafen. Von einer Werft in der Nähe, die in den 60er-Jahren Folkeboote baute, weiß sie leider nichts, ebensowenig wie der Werftarbeiter, der früh am nächsten Morgen ein Motorboot slippt. Allerdings kommt ihm der Name Mats Seldén bekannt vor und er kennt jemanden aus der Gegend, den wir anrufen können, “who is more into old wooden boats, and might know…”

Leider ist unter der Telefonnummer niemand zu erreichen. Wir machen uns zu Fuß auf die Suche. Zwei Kilometer vom Hafen entfernt ist eine Bushaltestelle. Auf den nächsten Bus nach Buvenäs müssten wir eine Stunde warten. Und auch in Buvenäs wüssten wir nicht, wohin wir uns wenden könnten… Wir entscheiden uns, weiterzureisen.

Auch wenn wir nicht mehr herausfinden konnten, als wir schon wussten: wir waren hier! Auf Orust, in Stillingsøn, dort, wo einst Niete um Niete durch nuries Planken getrieben wurde. Und – wer weiß – vielleicht ja genau hier, in der alten Scheune der Allmags Varv Stillingsøn, vor der wir gestern mit einem Topf Pasta und einer Flasche Rotwein unseren ersten Schären-Segeltag dieser Reise ausklingen ließen…