8. Juni 2019: Skagen-Marstrand

Schneller, jedoch weniger trocken als erwartet sind wir in Schweden angekommen.

Weil im Tagesverlauf zunehmender Wind vorhergesagt war, starteten wir um 7:20 Uhr, nach unserem gut einstündigen morgendlichen Ritual: Hafentoilette aufsuchen, Kaffee und Frühstück, Tee für den Tag aufbrühen und nurie startklar machen. Gewohnheiten in stets ungewohnter Umgebung. Noch im Vorhafen setzte leichter Regen ein, vor der Mole begrüßten uns laut Windprognose-App signifikante 70 Zentimeter (die signifikante Wellenhöhe bezeichnet das arithmetische Mittel des höchsten Drittels der Wellen in einem Seegang). Zunächst wehte der Wind noch aus Ost bis Südost, im Tagesverlauf drehte er südlicher und nahm zu. Auch der Regen. Das bedeutete für uns: Nässe von vorn abnehmend, Nässe von oben zunehmend. Das Kattegat, als wir erstmals nichts anderes mehr sehen, präsentiert sich uns trübe mit wenig Blau, viel Grau und Weiß. Steuern erfordert unter diesen Bedingungen volle Aufmerksamkeit und wie immer, wenn wir unter ruppigeren Bedingungen unterwegs sind, unterlasse ich fotografieren und filmen. Etwa 3 Meilen vor unserem Wegpunkt, dem Leuchtturm Hätteberget, regnet es nicht mehr, dafür legt der Wind noch einmal etwas zu.

Nach gut sechseinhalb Stunden und knapp 35 Seemeilen liegt nurie kurz nach 14 Uhr sicher vertäut im Hafen Marstrand. Wir haben einiges zu trocknen und so hissen wir zunächst nasse Kleidung, dann aber unverzüglich die schwedische Gastlandflagge…

Ein erster Inselrundgang inklusive kurzem Übersetzer nach Koön mit der Fähre macht uns schnell klar, weshalb sich Marstrand nicht nur unter Seglern außerordentlicher Beliebtheit erfreut. Unser nächstes Ziel steht längst fest: die Insel Orust. Aber ist Marstrand nicht viel zu schön, um nur einen halben Tag hier zu verweilen?

6. Juni 2019: Hirsholmen-Skagen

Wir legen um 9 Uhr ab und bei gutem achterlichen Wind geht es gleich mit 6 Knoten im Schmetterling los, Skagen entgegen. Ein wenig flaut der Wind ab, dreht südöstlich, nimmt dann wieder zu, die Sonne verschwindet und taucht wieder auf. Bestes Segelwetter. Die etwa 60 Zentimeter (laut Windfinder-App) hohen Wellen, die sich unter nuries Rumpf nach Norden schieben, machen M. noch etwas zu schaffen, nichtsdestotrotz sitzt sie an der Pinne, kurz nachdem der Morgenkaffee über Bord wanderte. Die neue Skipperin wird sogleich in einem Minuten-Video verewigt.

Was wir aus größerer Entfernung zunächst für große städtische Gebäude gehalten haben, wird ab 10:30 Uhr immer deutlicher, je näher wir Skagen kommen: eine Menge großer Frachter und Tanker liegen vor dem Hafen vor Anker. Jedoch in ausreichendem Abstand zueinander, so dass kein zusätzliches Manövrieren bei der Hafeneinfahrt erforderlich wird. Allerdings setzt sich prompt eines dieser Schiffe in Bewegung, als wir daran vorbeifahren. Über Funk hören wir mit, dass ihm ein anderer Platz zugewiesen wird. Kurz vor der Hafeneinfahrt kommt uns ein Lotsenboot entgegen, das vorher dem Frachter funkte: “I´m a verry small boat, so I need to come along your leeward side…” Eine ordentliche Welle steht mittlerweile vor Skagen, glücklicherweise ablandig. Nach dem Segel bergen vor einer ankernden Dickschiff-Flotte schiebt uns unser Außenborder zuverlässig in den Hafen.

Kaum festgemacht ist meine Stimmung am Boden. 12 Tage sind seit dem Schienbein-Unfall in Korsør vergangen. Die Wunde war gut verheilt und ich freute mich darauf, nach der Ankunft und einer Dusche in Skagen die Fäden zu ziehen (der freundliche Arzt im Krankenhaus Slagelse hatte mir nicht nur das genaue Vorgehen erklärt, sondern auch das nötige “Werkzeug” mitgegeben…). Während dem Anlegen trat ich jedoch neben die Cockpit-Bank und schrammte präzise die frisch verheilte Wunde am rechten Schienbein entlang auf das Bodenbrett. Ein eiterndes Loch zwischen den wieder blutigen Nähten und ein heftiger Schmerz sind die Folgen, als schon die Hafenmeisterin herbeigeeilt ist und erklärt, dass wir hier nicht (wie zahlreiche andere Boote) längsseits am Steg liegen können. Fluchend werfe ich den Anker ins Hafenbecken und wir verholen nurie mit dem Bug an den Steg gegenüber. Fäden ziehen verschoben. Und für einen Arztbesuch ist es heute schon zu spät.

Auch die Fisch-Auktionshalle ist bereits geschlossen. Was wir nicht zu sehen bekommen, können wir umsomehr riechen, als wir in der Hoffnung, eine neue Gaspatrone für die unnötig ausgelöste Schwimmweste zu finden, durch den Industrie- und Fischereihafen spazieren. Der Schiffsausrüster ist noch offen und wir werden fündig.

Etwa zwei Stunden später sitzen wir an der Nordseeküste. Der Blick auf das offene Meer entschädigt schnell für die 4 km Fußweg mit schmerzendem Bein. Bilde ich es mir ein, oder sieht das hier wirklich grundsätzlich anders aus als die Ostsee?, frage ich Miri. Vermutlich ersteres. Der Respekt ist für uns als bisher reine Ostsee-Segler dennoch größer, angesichts dieses neuen, ungleich größeren Reviers. Die Vorfreude auch. Aber noch sind wir eine Weile auf Kattegat und Skagerrak unterwegs, entlang der schwedischen West- und norwegischen Südküste. Und dann werden wir sehen, wie weit die Reise geht, auf dem “großen” Meer.

Seinem Ruf als Party-Hafen wird Skagen gerecht, nach den vielen leeren Häfen haben wir hier das Gefühl, in der Hauptsaison angekommen zu sein. Viele Norweger sind hier, kaum ein Boot unter 12 Meter länge, auf den Hecks einiger Segel- und Motoryachten stapeln sich die Bierkästen.

7. Juni 2019: Hafentag in Skagen

Immerhin verzögert mein neuerlicher Unfall die Weiterfahrt nicht: das Wetter ist am nächsten Morgen ohnehin zu schlecht für die Fahrt nach Schweden. Nach einem nächtlichen Gewitter weht der Wind stark aus unserer Zielrichtung, zu stark für nurie. Nach dem Frühstück begleitet mich Miri zu einer örtlichen Arztpraxis. Die Krankenschwester entfernt drei der zwölf Fäden und verschreibt Penicilin. Die neue Wunde macht das Ziehen der übrigen Fäden unmöglich, meinen Selbstversuch am Morgen hatte ich schnell aufgegeben.

Auch Miri ist nicht hundertprozentig fit, die gestrige Seekrankheit wirkt noch etwas nach. Und so bummeln wir durch Skagen, verfolgen den Aufbruch eines Kreuzfahrtschiffes aus Bergen, dazwischen immer wieder die Wetterprognose, leisten uns eine Pizza, nehmen uns nach Besichtigung vor, bei einem erneuten Besuch den zweiten, südlicher gelegenen und viel ruhigeren Sportboothafen anzulaufen und bestaunen die vielen kleinen, mittelgroßen und großen und riesigen Fischkutter. Südliche Winde der Stärke 4-5 Beaufort sind für Morgen vorhergesagt, da sollten wir flott übers Kattegatt kommen.

4. Juni 2019: Vesterø (Læsø) – Hirsholmen

“Ach schau, das wollte ich auch noch machen, die Powerbanks in die wasserdichte Plastikbox verstauen” sagt Miri, nachdem sie Schlafsäcke gepackt, das Vorschiff aufgeräumt und Kaffee und Tee gekocht hat, während ich Frühstück und (eigens für die Crew: “echten”, nicht löslichen) Kaffee im Supermarkt besorgte und 10 l Benzin an der Tankstelle davor. Ich lache, ist doch dieses “ach schau, dass wollte ich auch noch machen” seit Reisebeginn mein vermutlich häufigster Gedanke.

Als Tagesziel haben wir Hirsholmen ausgemacht, eine kleine Insel in Sichtweite vor Frederikshavn gelegen. Ein kleiner Schlag, Hirsholmen liegt keine 20 Seemeilen von Vesterø entfernt. Wir starten um halb 12 und sehen zwei Stunden später bereits viele Schornsteine und einige Windräder von Frederikshavn. Zwei Stunden sonnige und ruhige Fahrt bei halben bis achterlichen Winden bisher. Während Miri steuerte, testete ich nach Lektüre der Anleitung das Funkgerät. Es funktioniert tadellos: ein DSC-Test-Call an einen Segler in der Nähe wurde umgehend bestätigt.

Voll und ganz sonnig, ruhig und reibungslos bleibt es nicht: um 13:53 Uhr, kurz nach einer Halse und Hirsholm etwa 5 Seemeilen voraus, bemerke ich, dass die Baumschiene leicht schräg steht. Mit der Halse sind zwei Schrauben des Beschlags ausgerissen. Wir bergen rasch das Großsegel und legen die restliche Strecke unter Fock und Motor zurück. Glücklicherweise haben wir ein recht umfangreiches Schraubensortiment an Bord und so sollte die Reparatur der Baumschiene kein großes Problem sein.

Hirsholm bietet zwei Anlegemöglichkeiten: im Hafeninneren an einer breiten, fast quadratischen Pier oder, mit Heckanker, an einem Steg hinter der Nordmole. Die Wassertiefen an der Pier sind laut Karte deutlich geringer als am Steg und so entscheiden wir uns für letztere Option. Im ersten Versuch fällt der Anker zu früh und wir erreichen den Steg gar nicht, im zweiten Anlauf liegt nurie dann zu dicht bzw. zu schräg. Mit dem Ergebnis des dritten Versuches schließlich sind Crew und Skipper zufrieden, die Sonne lacht und Hirsholm ist ein kleines Vogelparadies. Die Mole sowie alle vorgelagerten Steine sind besetzt von Gryllteisten, eine Gattung aus der Familie der Alkenvögel, die an Pinguine im Miniaturformat erinnern. Auf unserem Inselrundgang sehen wir überall brütende Möwen. Außerdem einen großen und einen kleinen Leuchtturm, eine Kirche, ein knappes Dutzend gelbe Wohnhäuser sowie eine kleine, offene Hütte mit Informationen über Hirsholm. Um 1870 lebten hier über 200 Personen. Heute sind es weniger als 10, und diese leben auch nur in den Sommermonaten auf Hirsholmen.

Zurück am Boot trete ich zu schwungvoll auf die steuerbordseitige Cockpitbank, und so erhält nicht nur die Baumschiene neue und zusätzliche Schrauben…

Am nächsten Morgen können wir uns einen schöneren Ort als die Insel, auf der wir uns befinden, kaum vorstellen und beschließen, einen Tag hier zu bleiben. Nur einfach leben oder einfach nur Leben, zwei grundverschiedene Perspektiven auf die Möglichkeiten kleiner Inseln wie kleiner Boote, denke ich, dankbar und glücklich, hier zu sein: weil letztere uns lockte und erstere (ohnehin relative) nicht aufhielt. Der Tag vergeht mit Spaziergängen auf frisch in die hohen Wiesen gemähten Wegen, am Strand hinter der Info-Hütte, mit intensiver Beobachtung der Möwen und Teise sowie Planung und Vorbereitung der Weiterreise. Schnell muss hier nichts gehen und das tut es nicht. Der Weg über die Mole zum Sanitärgebäude mit Seewasserspülung und zurück etwa ist eine halbe Stunde lang. Einige Motor- und Segelboote legen im Lauf des Tages am Steg an und meist nach einigen Stunden wieder ab, nur ein weiterer deutscher Segler bleibt über Nacht neben nurie liegen. Morgen geht es weiter nach Skagen, von dort aus wollen wir dann hinüber nach Schweden.

3. Juni 2019: Hals – Vesterø (Insel Læsø)

Die verräterischen Windpfeile an den unzähligen Mastspitzen, beständiger Hintergrund in jedem Seglerhafenkino weltweit, stets zeigen sie alle in dieselbe Richtung: hier, der da ist es, der uns um- und antreibt, und hier und heute morgen in Hals kommt er schwach aus Süden. Alle – bis auf nuries neuen Windanzeiger, der sich am Antennenfuß verhakt hat. Und so muss ich noch einmal hinauf an den Mast. Gegen 10:30 Uhr ist dann alles erledigt. Dank der Unterstützung des freundlichen Hafenmeisters, der mich zweimal (und kostenlos) mit dem elektrischen Kran den Mast hinauf hob. Dass die neue Antenne mit integriertem Windpfeil so schnell installiert ist, hätte ich nicht erwartet. Großartig! Und ein nurie-Foto aus der Vogelperspektive haben wir nun endlich auch.

Kurz nach 11 legen wir ab. Der Wind hat das Kattegat verlassen, die Welle noch nicht, lang und seitlich bringt sie nurie zum Rollen, sodass der Crew im Lauf des Tages ein wenig mulmig wird. Die Ausfahrt aus dem Limfjord ist heute sehr ruhig, kaum ein Boot – von nurie abgesehen – segelt hinaus. Ab dem Leuchtfeuer Hals Barre Nord nehmen auch wir den Motor zur Hilfe. Aus dem ruhigen Wasser vor dem Fjord sehen wir einen Mast herausragen. Was mag das sein? Tatsächlich, die Seekarte bestätigt es, ein Wrack liegt dort, ein kleinerer Fischkutter vermutlich.

Die Umstellung auf 50% “Sprachsteuerung” ist für den Skipper noch etwas ungewohnt, jedoch haben die beiden zusätzlichen Hände ihre Routine im Segelsetzen über den Winter nicht verloren. Aber was ist das? Hals liegt etwa 3 Meilen achteraus, da sitzt Miri mit dickem, leuchtend gelbem Kragen im Cockpit. Noch im Hafenbecken hatte sie bemerkt, die Rettungsweste fühle sich irgendwie so schwer und dick an… Der manuelle Auslöser sitzt noch fest, also muss der Wasserdruckauslöser die Weste aufgeblasen haben. Allerdings füllte sie sich nicht sekundenschnell, sondern sehr gemächlich. Beides spricht gegen sie: einerseits sollte der Wasserdruckauslöser erst unter starkem Wasserdruck (eben nach Überbord-Gehen) reagieren und nicht schon bei Feuchtigkeit der Weste (unserer vermuteten Auslöse-Ursache). Dies würde sie etwa im Regen unbenutzbar machen. Zweitens, wenn die Weste schon auslöst, dann bitte auch vollständig! Glücklicherweise haben wir noch eine Feststoffweste mit an Bord…

Leider immer noch mit laufendem Motor erreichen wir nach 31 Seemeilen Læsø gegen 19 Uhr. Einmal mehr und besonders deutlich ist nurie das kleinste Boot im kaum belegten Hafen Vesterø. Außer uns liegt hier nur eine Handvoll 30 bis 40 bis 50-Fuß-Yachten, die vielen Picknickhütten rings um das Hafenbecken sind alle menschenleer. Am Ende eines vorwiegend dicht und grau bewölkten Tages lässt sich die Sonne doch noch blicken, als wir durch den kleinen Ort Vesterø und den Strand entlang zurück zum Hafen spazieren.

12.-17. August 2019: Kalmarsund, Öland und mit neuem Jumpstag zurück

Wir sind einmal mehr die einzigen Menschen auf einer Insel. Allein sind wir nicht. Eine Herde Rinder grast hier auf Öppenskär, einer der Karlskrona vorgelagerten Schären. Ein riesiger Vogelschwarm bedeckt den kleinen Felsen gegenüber, vor elf Uhr am Vormittag regt sich nichts. Etwas früher, gegen 8, haben sich zwei Ziegen bis auf den öffentlichen Anlegesteg getraut, an Bord wollten sie dann aber doch nicht. Die Tierwelt hat es nicht eilig hier, und auch wir nun nicht mehr.
Gestern abend sind wir angekommen und bleiben heute hier. Zu stark ist der Seegang vor den Schären, bei 5 Windstärken aus Südwest gönnen wir nurie und uns eine Pause, nachdem wir gestern von Kristianopel kommend bei ebensoviel Wind und Welle aufkreuzen mussten. Zwar ging das sehr gut, aber nass und anstrengend war es doch und nun, nachdem wir uns auf Öland für die Umkehr entschieden haben bleibt genug Zeit, einen Tag oder auch länger zu verweilen.
Nach den günstigen Winden, die uns in wenigen Tagen von Koster die schwedische Westküste hinunter bis nach Falsterbo trieben, hatten wir eine größere Runde geplant, über Gotland nach Klaipeda und dann über Danzig zurück nach Szczecin. Bei dem aktuell vorherrschenden und nicht zu schwachen Südwestwind müssten wir auf dieser Route jedoch längere Wartezeiten einplanen, insbesondere für den langen Schlag um Kaliningrad herum. Und es wäre eine festgelegte Route, ohne alternative Ziele. Hier nun sind wir nicht festgelegt.
Einen kleinen Dämpfer hat uns auch die Etappe von Utklippan nach Bergkvara beschert. Ursprünglich wollten wir nach Färjestaden. Achterliche 5 Windstärken schoben nurie mit 8 Knoten Fahrt flott den Kalmarsund hinauf. Eine höhere als die vorhergesagte signifikante Welle brachte das Boot so stark ins Schlingern, dass ich den Baum nicht auf Steuerbord halten konnte und wir ungewollt mit voller Wucht halsten. Danach schwamm die Backbord-Jumpstagspreize hinter nurie durch das Wasser. Eilig bargen wir das Großsegel und liefen den nächsten Hafen an: Bergkvara. Nur unter Fock und dennoch in Schüben mit über 9 Knoten Fahrt. In der Hoffnung auf einen vorhandenen Mastkran.
Diese Hoffnung wurde mehr als erfüllt. Nicht nur verfügt der Hafen Bergkara über einen mechanischen Mastkran zur Selbstbedienung, auch ein Baumarkt liegt in unmittelbarer Umgebung des Hafens. Und dann war mit LaMer-Skipper Achim auch noch ein Rigg-Profi vor Ort, der uns nicht nur ungefragt seinen Bootsmannstuhl lieh, sondern mich auch noch zwei mal an den Mast kurbelte. Immerhin musste ich dieses Mal nicht ganz nach oben. Noch vor zwölf am nächsten Tag war der Schaden behoben und um 18 Uhr machten wir mit einem Tag Verspätung in Färjestaden fest. Hier lagen wir über Nacht sehr unruhig bei starkem Südwest und am darauffolgenden Morgen stand unsere Entscheidung fest, nicht noch weiter nördlich und östlich zu segeln, mehr Zeit für den Rückweg zu haben. Und – wer weiß – sollte der Wind entgegen der aktuellen Langfrist-Prognose doch mal aus Ost kommen, gibt es für uns schließlich auch in der dänischen Südsee und an der deutschen Ostseeküste noch viele neue Häfen zu entdecken…

9.-12. August 2019: Ferien auf Utklippan

Mehr als 9 erlebnisreiche Wochen sind vergangen. Wochen voller Wetter. Nimbus, Cumulus, Stratus und Cirrus, hoch und tief in allen möglichen Formationen, dazwischen immer auch viel Sonne, Wind aus allen Richtungen, oft von vorn, Temperaturen meist zwischen 10 und 25 Grad, ein zwei Mal am Nachmittag auch darüber. Wochen voll langer und kürzerer Etappen, 2 Stunde die Kürzeste, knapp 40 die Längste. Meist sind wir 8-12 Stunden unterwegs. Wochen voll neuer Häfen. Skagen, Marstrand, Risør, Kristiansand, Flekkefjord, Bergen, um nur einige große zu nennen. Viele kleinere dazwischen, dazu eine Menge wunderschöner Ankerplätze, Felsenmoorings und Naturhäfen. Wochen voll netter Bekanntschaften. Mit viel Fisch auf unseren Tellern, die eigentlich Schüsseln sind. Mit einigen kleinen Pannen, alle gut bewältigt und behoben. Und leider auch: Wochen ohne Blog-Beitrag. Eine große Lücke ist da entstanden, die ich in der verbleibenden Reisezeit wohl kaum aufholen kann und daher lieber dort wieder einsetze, wo wir aktuell sind (und die norwegische Küste später zurück ins heimische Wohnzimmer hole):
Zurück in der Hanö-Bucht. Im Hafen Utklippan, Schwedens südöstlichster Inselgruppe. Schon im letzten Jahr wollten wir hierher, jedoch der Wind passte nicht. Jetzt sind wir da, seit Freitag…und kommen nicht weg, es zerrt heftig an den Festmacherleinen und wuchtig prallen die Wellen auf die Mole.
Uns stört es nicht. Einmalig schön ist Utklippan, wo verweilen wenn nicht hier?
Am Nachmittag unternahmen wir einen ersten Versuch, mit dem für Gäste dazu bereitliegenden Ruderboot auf die Südschäre überzusetzen. Erfolglos, die Strömung war zu stark, so stark, dass eines der Paddel brach. Am Abend im zweiten Anlauf, mit weniger Wind und Strömung klappte es. Und morgen früh kann es weiter gehen. Nach dem Frühstück mit frisch gepflückten Brombeeren. Bis dahin ist nurie über die Webcam am Leuchtturm der Südschäre noch live im Netz zu sehen:
http://webbkameror.se/webbkameror/utklippan/webkamera_utklippan_1280.php
Das kleine Boot hinten links…

2. Juni 2019: Boarding completed

Sonnig und 12 Grad warm beginnt der Tag, der meine Einsamkeit beendet. 386 Meilen weit bin ich alleine gekommen, von der Kanalfahrt nach Szczecin abgesehen. Nur noch eine Busfahrt nach Aalborg und zurück, und die nurie-Crew wird endlich wieder vollständig sein!
Nach der Ankunft in Hals gestern holte ich zuerst etwas Schlaf nach. Den ganzen Nachmittag und Abend verfolgte ich die Wind- und Strömungsentwicklung, in der Hoffnung, Aalborg doch noch mit nurie erreichen zu können. Und versuchte, in der Kajüte möglichst viel Platz frei zu räumen. Kurz vor der Dunkelheit machte der prachtvolle Dreimaster an der Kaimauer Hals fest, der mir bereits vor Samsø begegnet war. Der Wind ließ erst über Nacht nach. Und so nehme ich den ersten Bus nach Aalborg am Sonntagmorgen um halb zehn.
Miri steht schon vollbepackt am Busbahnhof, als der Linienbus aus Hals einfährt. Wir verstauen das Gepäck in einem Bahnhofsschließfach und schlendern auf der Suche nach einem Frühstückscafe durch Aalborg. Bis auf einen kleinen Markt ist alles geschlossen, also frühstücken wir doch am Bahnhofskiosk und fahren mit dem nächsten Bus zurück nach Hals.
Meine Hände verraten, auf welchem Bug nurie bisher mehr segelte, die Linke weist eindeutig mehr Kälte-Spuren auf. Aber auch sie kann heute wieder auftauen. Hals ist ein idyllisches kleines Städtchen, wenn auch der Hafen mit seinen vielen Läden und Restaurants eher touristisch wirkt. Der Weg von der Bushaltestelle zum Hafen führt vorbei an einer kleinen Bibliothek mit großem Garten, vielen Bänken zum Verweilen, einem langgestreckten, weißen Gebäude mit der Aufschrift “Kattegat” sowie einem Fahrradmuseum. Alles wirkt sehr neu. Auch ein sowohl in Süd- wie Norddeutschland weit verbreiteter Lebensmittelhändler hat eine Filiale in Hals und ist Sonntags geöffnet. Wir kaufen Kartoffeln und Gurke und machen Salat. Alles, was sonst nötig ist, hat Miri aus Berlin mitgebracht: Die neue Antenne für das Funkgerät und eine ganz besondere Überraschung… eine Angel! Oft habe ich daran gedacht, auch in den letzten Jahren schon, irgendwie schob sich jedoch auf der Ausrüstungs-Wunschliste stets etwas anderes vor die Angelschnur.
Am Abend sitzen wir von der Sonne geblendet am Ufer, und wie schon auf dem Weg von Langør nach Bønnerup ist von den Turbulenzen des Vortages nur mehr eine leichte Brise übrig geblieben.

1. Juni 2019: Bønnerup – Hals

Die Windräder auf den Molen rotieren schon mit mehr als einer Umdrehung pro Sekunde, als nurie um 6 Uhr aus dem Hafen Bønnerup fährt, und entsprechend zügig geht es bei Halb- bis Vorwindkurs los.
An Land gute und richtige Entscheidungen zu treffen, sorgfältig und möglichst umfassend informiert, aber nicht ängstlich, das ist ein wesentlicher Teil des Reisens auf See und häufig schwieriger als unterwegs, da die Konsequenzen nicht sofort eintreten, Wind und Wellen im Hafen noch entfernte Größen sind.
Um 9 Uhr – Bønnerup liegt bereits außer Sichtweite – bin ich überzeugt, die Entscheidung für das frühe Auslaufen nach Hals heute war richtig. Und gegen die Nachtfahrt gestern. In Bønnerup zu bleiben wäre ängstlich gewesen.
Ich kann fast “nach Gefühl” steuern heute morgen. Der Wind, der mir um die Nase weht und die zunehmende Unruhe im Schiff verraten mir, wenn nurie anluvend vom Kurs Hals (320-330 Grad) abweicht. Wenn es stiller wird, fallen wir zu weit ab. Der Lifebelt liegt für zunehmende Turbulenz in Griffweite. Die Einfahrt Hals habe ich mir auf der Karte genau angesehen. Nurie rauscht ins zunehmend graue Blau Richtung Hals. Kurz nach 9 Uhr sind es konstant über 6 Knoten und die halbe Strecke ist zurückgelegt. Viel mehr als der Wind treibt mich heute die Vorfreude: nur noch wenige Stunden, dann ist Miri mit an Bord…
Um 11:22 Uhr passiert nurie schon die Tonnen Hals Barre S und N. Hier beginnt die Einfahrt in den Limfjord, ich ändere den Kurs nach West.
Wie zu erwarten war, wird es gegen den Wind schlagartig laut, schräg und nass. Die nicht sehr breite, von Flachwasser umgebene Einfahrt erfordert mehrere Wenden, nurie liegt bis über die Bordkante auf der Seite, kaum habe ich die Fock dicht geholt. Eine Welle nach der anderen klatscht ins Cockpit. Trifft mich eine im Gesicht ist das schon fast ein kleiner Faustschlag, mindestens aber eine Ohrfeige. Auch der Segler vor mir hat ordentlich zu kämpfen.
Beide kommen wir gut durch die Fahrrinne bis vor den Hafen Hals. Das Bergen der Segel muss schnell gehen, die Strömung drückt nurie stark in Richtung Sandbank. Es geht schnell. Allerdings hat der starke Gegenwind in der Einfahrt schnell sämtliche Leinen über Bord gespült und die aufgeschossenen Knäuel blockieren die Schraube, als ich den Motor starte. Ich muss ihn an Deck ziehen, um den Propeller zu befreien. Gerade noch rechtzeitig, wenige Meter vor bzw. laut GPS und Karte bereits im Flachwasser ist der Motor wieder am Heck und gestartet…
Eine halbe Stunde lang versuche ich noch, auf dem Fjord bis Aalborg weiterzukommen. Unmöglich. Etwa einen halben Knoten Fahrt macht nurie bei maximaler Motorkraft. Als ich durchnässt aufgebe und zurück auf die Hafeneinfahrt Hals zusteuere sind es Sieben Knoten mit minimaler Kraft. Und noch vor 13 Uhr liegt nurie an Pfählen und Steg festgebunden in Hals.

31. Mai: Langør – Bønnerup

Enorm, wie schnell das geht:

gestern war es bei Dauerregen stürmisch und kalt. Die Nacht zuvor sehr unruhig, ich musste raus in das zunehmende Windgetöse, die Pinne festbinden. Nurie schaukelte ordentlich. Den ganzen Vormittag verbrachte ich dann im gemütlichen Hafen-Aufenthaltsraum. Als ich um 15 Uhr zum Boot zurückkehrte, staunte ich nicht schlecht: nurie lag mind. 1/2 Meter tiefer, und mit dem Kiel im Schlamm! Das fehlende Wasser hatten sieben Bft aus Süd aus der Langør-Bucht geweht.
Kurz darauf lief ein dänischer Segler von nuries Länge ein. Auch er steckt schon an den Heckpfählen im Schlamm fest. Ich half beim Anlegen, zog ihn über Grund an den Steg heran und war nach diesen kaum fünf Minuten im Regen arg durchgefroren.
“14 Knoten, nur mit Großsegel” berichtete der dänische Skipper. Und wohl jedermann im Hafen dachte: alle Achtung, bei diesem Wetter mit einem 25-Fuß-Segelboot auszulaufen!
Abends bemerkte ich im Sanitär-Häuschen einen verirrten Vogel…und fühlte mich ein klein wenig verwandt. Wie sehr man sich doch auf einen Schlafsack freuen kann!

Heute ist alles ganz anders: Nordwind hat die Bucht wieder aufgefüllt, die Steg-Oberkante liegt wieder 30 cm über Deckskante.
Um 11 Uhr – Langør liegt etwa 4 Seemeilen achteraus – ist es schwachwindig und die letzten Wolkenfetzen ziehen über Samsø nach Süden ab. Der Wind dreht zunehmend über West nach Südwest und legt etwas zu. Es wird wärmer und wärmer und fast warm, eine knappe halbe Stunde lang sitze ich nur im T-Shirt an der Pinne. Gegen 15 Uhr macht nurie auf Schmetterlingskurs 6 Knoten fahrt und ich fasse einen neuen Zielhafen ins Auge: Bønnerup.
Bønnerup bis Hals wird morgen bei stärkerem Wind leichter und kürzer sein. Bis weit in die Nacht wird es voraussichtlich so ideal bleiben, wie es jetzt ist, und ich fühle mich fit und auch einer Nachtfahrt weiter nach Hals gewachsen. Diese Option scheidet aber aus, weil in Langør das Handy keinen Empfang hatte und ich schnellstmöglich Miri erreichen will.
Um 15:40 Uhr kommt der Windpark Anholt in Sicht und der Wind nimmt ab, dann wieder zu und wieder ab, die Fock geht mehrmals hoch und wieder runter.
Um 19:50 Uhr, schon kurz vor Bønnerup ändert das Segel, dem ich seit 2 Stunden folge, seinen Kurs, ich muss Tonne WP688 am Nordende von Stavnsnshoved Rev noch erreichen, dann kann ich ihm wieder hinterher.
Nach 21 Uhr liegt nurie in dem mit Windrädern an beiden Molen markanten Hafen Bønnerup, eilig wird nurie aufgeklart, Miri endlich wieder telefonisch erreicht, Konserve und Tee aufgekocht… und glücklich, nun doch rechtzeitig dem Limfjord schon eine Tagesetappe nahe zu sein, ab in die Koje. Der Wecker klingelt morgen früh um 5 Uhr, der Wind wird laut Prognose im Tagesverlauf ordentlich zulegen…

29. Mai 2019: Kerteminde – Langør

Mit Kerteminde-Elan geht es heute um 9 Uhr unter wolkenlosem Himmel weiter nach Samsø. So schnell standen die Segel in diesem Jahr noch nicht. Mit 5 1/2 Knoten treibt nurie bei Rückenwind aus der Kerteminder Bucht. Leider nur das kurze Stück bis in den Großen Belt, aber ich bin zuversichtlich, dass heute auch halber bis Am-Wind-Kurs wenig anstrengend werden. Einmal mehr noch ist in südlicher Ferne die Großer-Belt-Brücke auszumachen. Im Norden schiebt sich langsam Romsø hinter Fynen hervor und trotz Wind aus Nordwest läuft Gegenströmung in die Kerteminder Bucht.
Um 12:40 Uhr ist bereits die Ostküste Samsø deutlich in Sicht, ich ändere den Kurs von 340 Grad auf Nord und beschließe eine Verlängerung der für heute geplanten Route: Langør statt Ballen will ich anlaufen, nurie ist schneller als erwartet.
Die Langør-Bucht liegt an Samsøs Nordspitze und ist insgesamt sehr seicht, in der Einfahrt muss besonders sorgfältig navigiert werden. Kein Problem, unter den heutigen Bedingungen habe ich Zeit und Ruhe genug, mir die Detailkarte genau anzusehen. Gegen 14 Uhr läuft nurie seit etwa einer Stunde Kurs 10 Grad weniger als Nord und bleibt damit auf konstanter Längenposition: 10°42′. Der Wind kommt mittlerweile aus Südwest. Eine gute Gelegenheit, die Strömung bzw. nuries Abdrift zu berechnen, die ich mangels Windmesser verpasse.
Stattdessen fotografiere ich eine seewasserimprägnierte Regenhose und bald schon ist der Eingang der Langør-Bucht erreicht, die von Vögeln umschwärmte Untiefe vor Lindholm erfordert zwei Wenden, weiter geht es knapp vorbei an der schmalen Landzunge von Samsø und das betonnte Fahrwasser bis… kurz vor den Hafen. Die Sonne blendet mich frontal dermaßen, dass ich die eine der beiden roten Tonnen vor dem Hafen zu spät sehe, schon steckt nurie im Schlamm. Das heißt, einmal mehr Segel setzen, die Fock reicht aber schon, das Boot zurück in das tiefe Wasser zu ziehen.
Langør, ein kleiner Ort aus wenigen Häusern liegt geschützt im Stavnsfjord an der Nordostspitze Samsøs. Das Wasser im Hafen ist besonders klar. Der Hafenguide verspricht “eine der schönsten Gegenden Dänemarks”. Ich kenne zu wenig von Dänemark und kann mit der Beinverletzung noch keine großen Wanderungen machen. Schön ist es hier zweifellos. Wie eigentlich in allen Häfen bisher. Weiß ich das noch zu schätzen? Ja, unbedingt! Allerdings, bei der schieren Dichte an landschaftlicher Schönheit, die ich bis hierher schon erleben durfte, drohen die Eindrücke schnell, einander zu überfrachten. Notizen und Fotos sind da unabdingbar, um alles Erlebte später erinnern zu können.
Der Hafen Langør bietet neben seiner malerischen Lage auch einen besonderen Komfort: neben dem Hafenautomat führt eine Tür in einen mollig warmen Aufenthaltsraum mit voll ausgestatteter Küche und einmaligem Ausblick. Ideal, da für morgen Regen und Starkwind bis 7 Beaufort angesagt sind. Und auch jetzt ist es schon wieder frisch und ich verbringe gleich zwei Stunden in dem warmen Zimmer. Mit gestern vorgekochtem Chilli con Carne. Allein. Kaum eine Hand voll Boote liegen außer nurie und den Fischerkähnen der Samsøer im Hafenbecken. Es ist noch immer Vorsaison. Laut Hafenguide sind die rund 50 Gastliegeplätze hier in der Saison meist bereits am frühen Nachmittag besetzt.
Senkrecht wie Raketenschweife erscheinen mir die Kondensstreifen der Flugzeuge auf dem Rückweg zum Boot. Liegt’s an der höheren nördlichen Breite oder bilde ich es mir nur ein?