Je länger der Hafenaufenthalt, desto schwerer fällt der Aufbruch. Diese Aussage ist als allgemeine Regel wohl kaum haltbar, heute jedoch, noch immer nicht ohne Schmerzmittel, trifft sie auf mich besonders zu. Etwas anderes dürfte dagegen vielen Seglern mit kleinen Booten bekannt sein: Je länger der Hafenaufenthalt, desto befreiender (im Kontrast zur engen Kajüte) ist die Weite der See.
Der DWD prognostiziert 4-5 Bft mit 1 m Wellenhöhe, Windfinder 4 Bft und 60 cm. Windrichtung ist Nordwest, wieder genau meine Zielrichtung. Deswegen will ich nach Südwest starten, dann die westliche Durchfahrt der Großer-Belt-Brücke passieren, um schließlich bis Kerteminde aufzukreuzen, wenn es gut läuft weiter.
Das Segel setzen geht heute besonders reibungslos, nur vom Cockpit aus – ohne auf das Vorschiff zu müssen – ziehe ich das Großsegel hoch. Die Fock bleibt noch unten, nurie macht auch ohne sie schon 5 Knoten fahrt nach Südwest, immer entlang der Großer-Belt-Brücke. Kurz nach 10 Uhr flaut der Wind ab und ich muss knapp südlich des Verkehrstrennungsgebietes den Motor starten, um einem nahenden Containerriesen nicht vor der Nase stehen zu bleiben. Ab und zu schaut die Sonne hinter einer dichten Wolkendecke hervor und um 11:22 wende ich nach Nordost zur Passage der westlichen Brückendurchfahrt. Knapp neben der westlichen Durchfahrtstonne stehend verärgert mich noch vor der Brücke ein Stellnetz. War dafür nirgendwo sonst Platz, werte(r) Kutterkapitän(in)?
Dicht hinter der Brücke setze ich auch die Fock und es wird gleich wieder ruppiger. Bei dieser Gegenströmung kommt nurie auf Am-Wind-Kurs kaum voran, unter diesen Umständen fällt mir die Entscheidung, nicht über Kerteminde hinaus Aufzukreuzen leicht und – Ziel beschlossen – freue ich mich sehr auf das dänische Segelzentrum.
Weshalb Kerteminde unter Seglern so beliebt ist, wird mir umso deutlicher, je näher ich dem Hafen komme. In der Kerteminde Bucht macht das Segeln einfach nur Spaß. nurie wendet wie eine Jolle, kaum auf dem anderen Bug ist sie schon wieder in voller Fahrt und auch als einziger Passagier auf zwei Tonnen Boot kann ich durch Ausreiten die Lage verändern. Fast bedaure ich ein wenig, dass die Hafeneinfahrt so schnell näherrückt.
Als alle Leinen fest sind, kommt Miri mir mit einer Nachricht zuvor: “Bist du in Mekka angekommen?”. Denn genau das wollte ich ihr soeben schreiben: ich bin in Mekka. Mein erster Blick an Land traf 3 aufgebockte Folkeboote. Ungleich mehr liegen hier bereits im Wasser. Und was sich kurz nach meiner Ankunft abspielt ist für Kerteminder wohl alltäglich, für mich aber ein großes Spektakel. Segler um Segler verlässt den Hafen für eine abendliche Ausfahrt oder Regatta. Und nicht ein Motor ist zu hören, gestartet und angelegt wird ausschließlich unter Segeln, wobei gerne auch in voller Fahrt erst zehn Meter vor der Box das Großsegel fällt. Ebenso schnell wie die Boote an den Stegen liegen, sind die Segel abgezogen und in Säcken verpackt. Und ich habe noch lange nicht ausgestaunt, da sitzt die Crew wohl längst wieder im heimischen Wohnzimmer auf der Couch.
Ein tolles Schauspiel, während ich koche und esse und zweimal mit dem Benzinkanister zur nahen Tankstelle laufe, noch immer leicht humpelnd. Das schon allein war die Reise wert und hat den letzten Ärger über meinen dummen Unfall in Korsør in Luft aufgelöst. Das seit dem frühen Abend auch wieder die Sonne lacht, erscheint mir da ganz folgerichtig.
25. – 27. Mai: Hafentage in Korsør
“Should I stay or shoud I…” sail?
Gestern Korsør anzusteuern war auf alle Fälle die richtige Entscheidung. Der Wind hat noch zugenommen, nachdem ich den Hafen erreicht hatte. Die ganze Nacht blieb das so. Erst gegen 11 Uhr heute Vormittag wird es etwas ruhiger, allerdings, laut Prognose, nur vorübegehend. Ich habe gerade beschlossen, Musholm anzusteuern, eine kleine Insel etwa 10 Meilen nördlich von Korsør mit vor westlichen Winden gut geschützter Ankerbucht, und will das Großsegel klarmachen zum Auslaufen. Dabei stolpere ich über die Fock und stürze ungebremst mit dem rechten Bein in das geöffnete Vorluk, das Schienbein schrammt den Metallrahmen entlang.
Meine lange Unterhose ist zerrissen und blutig. Die Platzwunde sieht nicht gut aus und brennt stark und im ersten Schreck und Schmerz verstecke ich sie schnell hinter Kompresse und Druckverband. Atme tief durch. Rufe Miri an. Öffne die Wunde erneut, um sie zu desinfizieren. Ein fingerbreiter Hautlappen hängt am Schienbein herab und mir wird klar: das wird nicht von selbst heilen. Ich muss das Internet nach Ärzten und Krankenhäusern in der Umgebung durchsuchen. Die nächste Klinik scheint in Odense zu sein, über eine Stunde Bahnfahrt entfernt. Am Steg frage ich einen einheimischen Segler nach Ärzten, Kliniken, dem schnellsten Weg zum Bahnhof… Als ich ihm ein Foto der Wunde zeige, lässt er seine Arbeit am Boot stehen und liegen, meldet mich telefonisch in der Klinik in Slagelse an und fährt mich mit seinem Auto hin.
Im Wartebereich der Klinik wird eine Rede von Greta Tunberg ausgestrahlt. Zwei Stunden später ist die Wunde genäht, der Schmerz noch betäubt und ich sitze im Bus zurück nach Korsør. Zurück im Hafen krieche ich für den Rest des Tages in den Schlafsack. Über Nacht bleibt erstmals das Steckschott offen, bei Tiefstwerten um 10 Grad Celsius und das Cockpit in Lee des pfeifenden Windes bin ich froh, dass dieser dumme Unfall so schnell ärztlich versorgt wurde. Christian, dem hilfsbereiten dänischen Skipper sei Dank!
Mit Schmerzmitteln präpariert und leicht humpelnd sehe ich mir am nächsten Tag ein wenig Korsør an. Schon noch im Hafen befindet sich die erste Sehenswürdigkeit: ein gelbes Segelboot mit fließendem Übergang zwischen Bordwand und Aufbauten, sofort denke ich an den Beatles-Song “Yellow Submarine”: so habe ich mir das immer vorgestellt. Nur ist dieses hier nicht “Sub”.
Gleich hinter dem Hafen liegt ein großer Stützpunkt der dänischen Marine, die großen Marineschiffe waren das erste, was ich bei der Annsteuerung des Hafens vorgestern ausmachen konnte. Die Stadt insgesamt wirkt aber gar nicht militärisch. In der jüngeren Vergangenheit wurde sie der Verwaltung Slagelse unterstellt, wie ich in einer liebevoll gestalteten Infobroschüre lese, die am Hafenautomat auslag. Darin steht auch, dass einige Einheimische Korsør Haus für Haus in Miniaturen nachbauen, und zwar derart detailiert und aufwändig, dass die Fertigstellung eines Miniatur-Hauses bis zu zwei Jahren dauern kann.
Auch am 27. hat der Wind nicht abgenommen, dafür regnet es weniger. Unter diesen Umständen, mit der noch schmerzhaften Schienbeinverletzung fühle ich mich nicht fit genug für die Weiterfahrt und verbringe den Tag mit arbeiten am Boot und Bein hochlegen. Und per Handy-App zwei-drei Worte dänisch lernen. Zwischendurch betrachte ich immer wieder die Brücke über den großen Belt. In verschiedenster Beleuchtung ein beeindruckendes Motiv. Sicher, ich würde sie lieber schon hinter mir sehen. Aber wann sonst wäre ich nach Korsør gekommen? Und selbst, wenn es morgen auch noch nicht klappt, habe ich den Limfjord als Ziel für den 2.6., wenn Miri an Bord kommt, noch nicht abgeschrieben.
24. Mai Vejrø-Korsør
Um 10:50 Uhr haben wir abgelegt und schnell ist klar, dass dies kein Trimm-Tag ist: nurie rauscht vom Start weg mit 6 Knoten in Richtung Großer Belt. Zunächst, weil eine spätere Winddrehung nach West bis Nordwest vorhergesagt ist, versuche ich westlich um die Insel Omø herum zu kommen, gebe das aber bald auf, weil der Weg um Omø herum länger ist und nurie mit halbem Wind ruhiger und schneller läuft. Um 11:50 Uhr liegt die Tonne Wegpunkt 369 bereits Backbord querab.
Der Wind legt weiter zu und umso mehr lautet die Devise: Schonen statt Trimmen, während wir mit beständig über 6 Knoten zwischen den Inseln Omø und Agersø dem Tagesziel Kerteminde entgegenlaufen.
Dahinter, nun endgültig auf dem Großen Belt, sind es schon über 7 Knoten, die riesige Großer Belt-Brücke ist längst in Sicht und rückt immer näher. Die Brücke hat eine östliche und eine westliche Durchfahrt, eigentlich wollte ich die westliche Durchfahrt passieren: erstens wäre nurie hier bei dem mittlerweile starken Westwind schon etwas unter Landschutz, zweitens ist die östliche Durchfahrt zugleich Verkehrstrennungsgebiet, sämtliche Dickschiffe passieren die Brücke hier. Daran ist nun aber nicht mehr zu denken, zu nass und zu weit wäre das jetzt. Ich steuere die östliche Durchfahrt an, vorbei an Korsør, und der Wind nimmt weiter zu, mehrfach zeigt die GPS-Geschwindigkeitsanzeige eine 9. Was ist das hier für ein Hafen: Korsør. Die Ansteuerungskarte für Korsør bleibt nicht ganz trocken, als ich sie aus der Kartentasche heraus- und als Oberste wieder hineinpacke. Kurz vor den Brückenpfeilern kommt mir schwer schaukelnd ein anderer Segler entgegen und wie er gebe ich an dieser Stelle den Kurs Kerteminde auf und laufe nach lautem Segel bergen stark rollend in Korsør ein.
Ganz schön turbulent, meine Großer Belt-Premiere. Die ca. 15 Meilen nach Kerteminde hätte ich noch steiler gegen den Wind fahren müssen. Für mich und vielleicht auch für nurie zu anstrengend, wir beide sind doch ausreichend nass, als nurie um 16:48 Uhr vor der spektakulären Brücke im Hafen Korsør festgemacht ist.
Nach einem Landgang durch Korsør wieder in der Kajüte über Seekarten gebeugt, denke ich über ein Kapitel aus der “Windharfe” des dänischen Autors Tage Voss nach, das Miri mir im Winter vorlas: weshalb Pfeifen auf See ein Tabu ist wird darin ausführlich beschrieben. Ich verstehe immer noch nicht so ganz, weshalb, lasse es aber bleiben. Und heute jedenfalls war mir ohnehin ganz und gar nicht danach.
23. Mai 2019 Hesnæs-Vejrø
Hesnæs besteht aus nur einigen wenigen Häusern und ist zu beiden Seiten umgeben von waldiger Steilküste. Der ausgedehnte Spaziergang gestern, entlang der Küste nach Norden, war ein Höhepunkt der bisherigen Reise, und wenn sie eine Suche ist, so habe ich hier viel gefunden. Auch einen Brief, mit einigen anderen in einer Dose verschlossen, die mit einer Leine an einem Baum nahe einer Grillstelle befestigt ist. Ich verstehe wenig, fotografiere aber Vor- und Rückseite des Briefs für eine spätere Übersetzung und bereue ein wenig, nicht selbst Stift und Papier zur Hand zu haben.
Von Hesnæs aus soll es durch das Smålandsfahrwasser in Richtung großer Belt gehen. Vor der Einmündung liegt eine Hand voll Inseln und in der Karte sind einige empfohlene Ankerplätze verzeichnet. DIE Gelegenheit, denke ich, stelle dann aber bei der Ablegevorbereitung fest, dass nun zwar ein Pfluganker mit Leine und Kette an Bord sind, aber ein dicker Schäkel zur Verbindung fehlt.
Vorherrschende Windrichtung ist heute Nordwest, das heißt zunächst wieder Kreuzen, die gut betonnte Einfahrt in das Smålandsfahrwasser hinauf. Kurz nach 11 Uhr liegt die Brücke zwischen Møn und Bogø Steuerbord querab, ich schalte das GPS aus und trimme ausführlich das Großsegel mit Niederholer, Unterliekspanner und Achterstag. Ein Trimm-Tag ist das bisher, genügend Wind, ohne Motor voranzukommen und nicht so viel, Boot und Rigg irgendwie schonen zu müssen. Um 12:15 Uhr liegt die rote Tonne WP 408 Backbord voraus und ich messe das Fahrwasser mit erfundenen Maßen aus: Wie lange kann ich nach Norden hinter die Tonne fahren, bis es flach wird (die 2-Meter-Tiefenlinie liegt etwa 1/3 Seemeile hinter der Tonne)? Ca. eine Knäckebrotlänge. Das ist die Zeit, die ein gemütlicher Skipper zum Verzehr einer Scheibe Knäckebrot benötigt. Nächstgrößere Einheit ist eine Knäckebrotpluswürstchenlänge. (die 2m-Tiefenlinie liegt etwa 1/3 nm hinter der Tonne)
Nach 15 Uhr sind die beiden Falster-Sjælland-Brücken passiert und ich mache eine kurze Ausnahme von unserer Regel “kein Handy auf dem Vorschiff”, fotografiere und Filme nurie in Fahrt von vorn, während die Pinne mit Gummileine an Backbord befestigt ist.
Wenig später flaut der Wind ab. Möglichst weit will ich heute kommen, deshalb nehme ich die Fock herunter und starte den Motor zum Großsegel. Die Inseln Femø, Fejø und Vejrø habe ich als mögliche Tagesziele ins Auge gefasst und entscheide mich nun für Vejrø, da es auf meinem weiteren Kurs Richtung Limfjord am günstigsten liegt.
Der Sonne entgegen – ich kann die Einfahrt kaum erkennen, so geblendet bin ich – geht es die letzten Meilen und in den Hafen nach Vejrø.
Wo bin ich hier nur gelandet? Wie sich schnell herausstellt: im Luxus-Ressort mit Helikopterlandeplatz und Landebahn für Kleinflugzeuge – auf einer Fläche von etwa 500×2000 Metern. Vieles, das mir so gar nicht fehlt, ist hier vorhanden, und die bisher sehr geschonte Bordkasse leidet: 50 Euro kostet nurie der Liegeplatz für eine Nacht und als ich das höre, überlege ich, noch schnell vor den Hafen zu fahren und dort zu ankern, bleibe dann aber doch und stopfe – wenn schon, denn schon, meine Wäsche in die Inklusive-Waschmaschine. Ein Tennisschläger für den Inklusive-Tennisplatz ist leider nicht an Bord.
Schlecht vorbereitet war ich da, ausschlaggebend für meine Ansteuerung des Hafen Vejrø war allein seine gute Lage auf der Route zum Limfjord. Um 23:30 Uhr sitze ich im blitzblanken Waschhaus und warte auf den Wäschetrockner und nehme mir vor, morgen zeitig von hier wegzukommen. Wohl kaum gehören nurie und ich hier zur Zielgruppe. Einerseits wäre unsere Reise in diesem “Preissegment” bald zu Ende. Andererseits fühlen wir uns in dieser Exklusivität auch gar nicht wohl.
21. Mai Neuendorf-Hesnæs
aus meiner Routenplanung vom Vortag:
Kurse für den 21.Mai:
gelbe Tonne NO vor Hiddensee bis…
…WP414 vor Hesnaes: 288
…WP353 vor Klintholm 307
…WO336 vor Gedser 262
WP804 O vor Hiddensee bis WP414 vor Hesnaes: 290
Querungskurs Verkehrstrennungsgebiet: 325
ab WP804: 310 Grad bis 13°8,5` E
Es kann weiter gehen. Der Nebel ist nicht verschwunden, aber die Sicht ist gut genug, durch das Fahrwasser zwischen Hiddensee und Rügen auf die Ostsee zu kommen. Und die Windprognose ist akzeptabel, schwachwindig aus Nordwest soll es werden.
Um 7:35 legen wir ab. Es nieselt leicht, der Schaproder Bodden, grau unter grau, ist unbewegt wie ein kleiner Ententeich, nur die Enten sind Schwäne. Es ist diesig, aber die Fahrwassertonnen sind klar und rechtzeitig erkennbar. Zwei Stunden später ist nurie aus dem engeren Grau im weiten Grau der Ostsee angekommen und die Segel sind gesetzt, bringen aber wenig Fahrt, der Motor muss weiterlaufen. Um zehn Uhr weht entgegen aller Prognosen ein leichter Wind aus West bis Südwest und ich Frühstücke erneut, zwei gestern vorgekochte Kartoffeln. Die könnte ich auch bei stärkeren Winden essen. Kurz darauf ist die erste Kartenserie der Reise abgesegelt, die nächste liegt schon griffbereit. Und: kein Land mehr in Sicht. Trotzdem ist es bei der eingeschränkten Sicht nicht die große Weite Ostsee.
Um 11 Uhr zurre ich die Pinne an Steuerbord, das klappt unter den aktuellen schwachwindigen Bedingungen ganz gut, das heißt auf +/- 10 Grad genau, wenn ich alle 2-3 Minuten nachjustiere, und zum ersten Mal seit Szczecin lese ich etwas anderes als Seekarten: Sönke Rövers “Auszeit unter Segeln”. Nicht ganz eine halbe Seite, da dreht der Wind auf NW. Immer wieder tippe ich kurze Notizen in den Handyspeicher:
1132 Fock runter, Kutter in Sicht
1220 Tonne P-LAN O auf 200 BB
1252 Begegnung mit Fischkutter Kaspar und Windpark-Versorger vor Anker und Osttonne Windpark Baltic1 in Sichtweite
1430 Großsegel weg, Wind weg. noch ein Versuch nur mit Fock…
…beendet und Tank aufgefüllt um 1510, Stena Färe in Sichtweite, 4- 4 1/2 Knoten
1456 Verkehrsstrennungsgebiet achteraus
1628: 9,9 Meilen bis Hesnaes, noch kein Land in Sicht
1647: noch ein Versuch mit der Fock, weil eine leichte Brise aufkommt. Vergeblich, direkt von vorn. Ich freue mich auf die Windex. Auf dem Vorschiff: Falster in Sicht!
1710 Falsters Küstenlinie ist 2-3 Minuten lang auch am Steuer sitzend zu erkennen, verschwindet dann wieder im Wolkennebel.
Und dann verschluckt der Nebel die Umgebung in immer kleineren Radien und ich schalte nuries Positionsleuchten an. Ein fantastisches Erlebnis einerseits, etwas mulmig wird mir andererseits allerdings. Wenn nun ein Frachter oder nur ein Fischkutter hier unterwegs ist und ich sehe ihn erst… 50 Meter (schätze ich unsicher die Sichtweite) vor, neben oder hinter mir, mit, sagen wir 8 Knoten Fahrt…, überlege ich. Alles geht gut, das GPS zeigt zuverlässig den Weg zum Hafen Hesnæs, es klart leicht auf, die Küste sehe ich an der Ansteuerungstonne des Hafens noch immer nicht, aber rechtzeitig.
Der Hafenmeister wartet geduldig auf der Mole, während nurie in den Hafen schleicht. Erleichtert und glücklich, nach und dann doch auch noch mit dem Nebel in Dänemark angekommen zu sein, beginnt die Nacht im Hafen Hesnæs vollkommen still.
19. und 20. Mai: Hafentage in Neuendorf
Weder Gedser noch Klintholm: als ich früh morgens das Steckschott herausziehe, liegt so dichter Nebel im Hafen, dass schon die markierte Einfahrt in etwa 50 Meter Entfernung nur noch zu erahnen ist. Es wäre sehr leichtsinnig für mich, unter diesen Bedingungen auszulaufen, ohne Sicht der Markierungen durch das enge Fahrwasser, geschweige denn auf offener See. Für einheimische Fischkutter mit wenig Tiefgang und genauen Ortskenntnissen mag das kein großes Problem sein. Doch auch die bleiben heute alle im Hafen.
Ich verbringe die überraschende Wartezeit mit Bootsarbeiten. Von den beiden ans Bordnetz angeschlossenen Lampen hat bisher nur die steuerbordseitige funktioniert. Ich tausche die vom Vorbesitzer installierte Fassung für Halogenstecker gegen eine BAY-15D-Fassung und bringe Licht ins Dunkel. Eine weitere Baustelle widerum an Backbord: einer der drei Magnetkompasse an Bord. Er hat über die Jahre immer mehr Flüssigkeit verloren und die Nadel hängt entsprechend meist schief und krumm. Ich lasse alle Flüssigkeit ab und Fülle ihn mit frischem Petroleum auf. Und schließlich sortiere ich die Werkzeugschublade neu. Und befestige die Halterung für den Handpeilkompass am Cockpitsüll. Und dann feiert die von Miri genähte neue Baumpersenning Premiere: meine Abspannung ist noch ausbaufähig, aber ansonsten sitzt sie perfekt und erweitert den Aufenthaltsraum bei diesem Wetter enorm. So kann ich auch im Cockpit sitzen, ohne gleich nach 5 Minuten Durchzug zu frieren.
Zwischen 14 und 16 Uhr wirde die Sicht vorübergehend besser. Und schlagartig macht sich Boot um Boot auf den Weg gemacht, auch Schnickschnack. Wochenendsegler, die zurück nach Stralsund müssen. Eine gute Hand voll Segler ist mit nurie zurückgeblieben.
Am nächsten Morgen ist die Sicht nach wie vor stark eingeschränkt, immerhin, die gegenüber liegende Hafenmauer ist sichtbar, aber dennoch sind die Bedingungen für nurie und mich zu schlecht zum Auslaufen. Und auch sonst legt wieder nur die Fähre an und ab. Als ich im Hafenkiosk Brötchen hole, liest ein Bootsnachbar aus der regionalen Zeitung vor. Nahe dem Windpark Baltic1 (der auf der Route nach Gedser liegt) ist ein Fischkutter mit einem Katamaran kollidiert. Wenn das schon einem Fischer passiert, denke ich und bin vollends demotiviert. Und doch wird die Sicht nach und nach immer besser, ich bin hin- und hergerissen, um 11:30 Uhr ist alles vorbereitet und startklar, da schieben sich die Nebelschwaden wieder zusammen und ich entscheide endgültig, einen Tag länger zu bleiben. Und sowie es dann zu spät ist, Dänemark vor der Nacht zu erreichen, zieht der Nebel ab und die Sonne zeigt sich. Die Insel wird lebendig, bald steht kaum noch ein Fahrrad vor der Verleihstation am Hafen. Ich gehe lieber zu Fuß, wieder an die Westküste, diesmal jedoch ein Stück nördlicher.
“Kommst nicht weg, was? Na, bleib einfach hier…” sagt der Hafenmeister am Abend. Doch. Morgen.
18.5. Stralsund-Neuendorf(Hiddensee)
Ich sitze an der Westküste Hiddensees in den Dünen, tiefer Nebeldunst zieht von der Insel auf die Ostsee und verwandelt die Sonne in eine grellweiße Scheibe. Eine flotte Fahrt, bisher die schnellste war das hierher, von Stralsund aus 3 1/2 Stunden, vom Leinen lösen bis festgemacht. Von nach dem Segel setzen bis vor dem Segel bergen vielleicht gut 2.
Los ging es gegen 14 Uhr, nachdem ich…
– am zunächst nebligen, dann aber schnell aufklarenden Morgen im Bauhaus war und – wenn es auch keine Antennen gab – einen zweiten Anker besorgte, der ursprünglich schon bei der Abfahrt an Bord sein sollte,
– einen Abstecher zum Rathausplaz unternahm
– das Sichtfenster von nuries Fock mit Segeltape flickte (seit Swinouscie war es leicht eingerissen, vermutlich von den Haken der Gummi-Expander, mit denen ich sie auf dem Vorschiff festzurre und die ich dann auch gleich gegen Plastik-Haken tauschte)
– die GorchFock nicht fotografierte
– Und meine lange Suche nach einem Fischbrötchen nahm ein glückliches Ende.
Mit einem Mal, kaum standen die Segel und nurie machte gleich 6 Knoten Fahrt, bemerkte ich eine Menge “Verfolger” hinter mir. Klar – die Brückenöffnung. Oder doch eine Regatta? An der zweiten grünen Boje drehen alle zurück nach Stralsund ab, am vordersten Boot fällt mir eine verselbstständigte, frei im Wind wehende Dirk auf. Ich bin ein wenig erleichtert, mit so vielen Booten gleichzeitig wollte ich nicht unbedingt die enge Fahrrinne vor Hiddensee passieren.
Nicht weit hinter Tonne 60 beginnt der markierte Weg durch das Flachwasser. Ich komme mit dem Nordwestwind gut durch, nur im Schaproder Bodden muss ich drei mal kreuzen, hier verläuft die Fahrrinne Südost nach Nordwest, dafür ist aber auch viel Platz mit für nurie ausreichenden Tiefen. Jetzt muss ich mich entscheiden: Neuendorf, Vitte oder Kloster, das sind die drei für Sportboote geeigneten Häfen auf der langen schmalen Insel.
Neuendorf ist der erste vor nuries Bug und – das gibt den Ausschlag – hat einen breiten und tiefen Zugang. Und wir waren hier im letzten Jahr. Schön war das hier. Diesmal setzt allerdings viel mehr Strömung in den Hafen, ich muss nurie mit Rückwärtsgang vom Steg abhalten. Tobias ist mit Schnickschnack und Kindern auch schon da und er und zwei weitere Segler helfen beim Anlegen – in der letzten freien und ungeschütztesten Ecke des Hafens. Scheinbar alles Wasser des Schaproder Boddens zielt in diese Ecke und entsprechend liegt nurie auf einem großen Schaumteppich und kaum liegt sie fest und aufgeklart, hat mich der Wind an die kaum 300 Meter entfernte Lee-Küste der Insel vertrieben. Sowie auch drei vor Anker liegende Segler. Die machen´s richtig, denke ich, sie liegen auf glattem Wasser und sind – schon auf der offenen Ostsee – viel schneller in Dänemark als wir auf der anderen Seite. Erinnerungen an unseren Hiddensee-Aufenthalt im vergangenen Jahr werden wach und ich zähle die Tage, bis Miri die vielen Eindrücke und Erfahrungen endlich wieder mit mir teilt. 12 noch.
Auch in den windgeschützten Dünen wird es nun wieder frisch und ich muss zurück aufs Boot und Vorbereitungen für die morgige Fahrt nach Dänemark treffen – ob nach Klintholm oder Gedser wird sich zeigen.
17. Mai: Gager – Stralsund
Eine Motor-Tour ist das heute leider. Fast zeitgleich mit einem schönen Zweimast-Traditionssegler habe ich bei eingeschränkter Sicht den Hafen verlassen. Zwar stehen beide Segel, aber Miraculix muss helfen (Miraculix, auf diesen Namen haben wir vor zwei Jahren unseren 5PS-Außenborder getauft, als dieser an der polnischen Küste immer wieder aussetzte, mal einige Minuten lang, mal einige Stunden oder für den Rest eines Tages. Meist bekam ich ihn “irgendwie” wieder zum Laufen. Spätestens morgens beim Ablegen sprang er aus uns unerklärlichen Gründen wieder an. Hauptursache der Aussetzer war Nässe der Elektronik. Seit ich die Zündungskabel mit viel Flüssigisolierung behandelt habe läuft der Motor einwandfrei. Der Name bleibt ihm erhalten). Er macht das fabelhaft.
Die polnische Gastlandflagge habe ich als Aushilfs-Windanzeiger nicht eingeholt, auch wenn nurie nicht mehr in Polen unterwegs ist. Sie hängt schlaff von der Steuerbord-Saling herab. Ein Segler in Sichtweite, Peilung West gibt kurz vor 12 Uhr auf und streicht die Segel. Ich hoffe noch, ein wenig schieben sie immerhin mit und es flattert nichts. Und im Strelasund geht es voraussichtlich auf Halbwindkurs weiter.
Als die südliche Landspitze von Zudar auszumachen ist, schalte ich das GPS aus. Wer weiß, ob ich heute Nacht die Batterie laden kann. Morgen brauche ich das GPS dringender, wenn ich nach Klintholm oder Gedser übersetzen will, hier auf dem Boden kann ich gut mit den Kompassen und nach Sicht steuern.
Um 13:20 Uhr zeigt sich die Sonne für heute zum ersten Mal.Ich kürze den Betonnten Schifffahrtsweg ab und halte über den Mittelgrund auf Stahlbrode zu. So langsam wird es eng. Eigentlich ist es schon unrealistisch, Stralsund noch rechtzeitig zur Brückenöffnung um 16:20 Uhr zu erreichen. Trotzdem drehe ich den Motor etwas höher und Messe die Distanz auf der Karte immer wieder neu aus. Ein schwedischer Segler zieht mit stärkerer Maschine vorbei. Wenn er das noch schafft, dann könnte es mir auch reichen, immerhin ist die Brücke 20 Minuten geöffnet, denke ich.
Es reicht weder für ihn, noch für mich. Und der Wind ist nun ganz fort, der Strelasund liegt spiegelglatt und still. Als der Motor aus ist, steht nurie fast bewegungslos auf der Stelle. Wäre ich jetzt schon nördlich der Brücke, ich hätte ein Picknick in dieser wunderbaren Umgebung verpasst!
Bis 17:20 Uhr kommt eine gute handvoll Segler zusammen und wir fahren gemeinsam durch die Brücke. Dahinter kann wieder gesegelt werden, allerdings gegenan. Ich fahre noch halbherzig ein Stück weiter, bis Tonne 48 um 1755, drehe dann aber doch um nach Stralsund und mache an einem Dauerliegerplatz fest. Der ansonsten hier liegt, ist über das Wochenende verreist. Woher ich das weiß? Er ist eben los und rief mir auf meine Nachfrage nach freien Plätzen zu: “nimm meinen”. Den Ausschlag für Stralsund gab meine Hoffnung, hier eine Ersatz-Antenne sowie Hilfe bei der Mast-Montage zu bekommen.
Kaum in der City-Marina angekommen treffe ich Tobias, der mit “Schnickschnack” vor 2 Jahren wie nurie die polnische Küste entlang segelte. Er rät mir, wegen der Antenne in den Baumarkt zu fahren. Das ist für Morgen meine erste Aufgabe. Und vielleicht, ja, höchstwahrscheinlich bekomme ich dann auch ein Fischbrötchen. Ich freue mich schon. Und: Miri hat für den 1.6. ein Ticket nach Aalborg gebucht. In den letzten Tagen hat sich das vorab vage festgelegte Ziel dieser Reise konkretisiert. Limfjord, ich komme!
15. und 16. Mai: Hafentage in Gager
Hoppla, 17 Uhr schon, wo ist nur der Tag hin?, denke ich am Nachmittag des 15. Mai. Was habe ich denn getrieben heute? Zuerst verlegte ich nurie hinter den Steg, längsseits und mit 6 Leinen gesichert. Der für morgen angekündigte Starkwind sollte so kein Problem sein. Dann habe ich um- und aufgeräumt, etwas Platz im Vorschiff geschaffen. Bei längeren Aufenthalten in der Kajüte ist das unumgänglich, jeder Zentimeter zählt. Etwa ein Meter Freiraum mehr ist durch die Aktion gewonnen und ich fühle mich gleich viel wohler. Der eigentliche Erfolg des Vormittags ist aber ein anderer: es ist mir gelungen, GPS und Funkgerät über die NMEA0183-Schnittstelle zusammenzuschließen. Auch wenn das Funkgerät ohne Antenne nicht funken kann, es zeigt nun immerhin seine genaue Position an. Die richtige Lösung war: blaues Kabel an gelbes Kabel, schwarz (Batterie Minus) splitten und an grün. Dann noch die Konfiguration beider Geräte in den Menüs. Erfolg im letzten und nicht eben mehr optimistischen Versuch.
Ein Fischbrötchen bekam ich wie schon gestern nach der Ankunft nicht mehr, diesmal merkte ich mir aber die Öffnungszeiten: 11-15 Uhr. Und es regnete nicht wenig. Ganz am Ende des Hafenbeckens liegt ein Segelboot von etwa nuries Größe, an Deck bepackt mit Surfausrüstung und dicken geschäfteten Tauen ringsum zur Stoßdämpfung. “Der Camper”, die Art Boot, die ich liebe, denke ich bei jedem der etwa 200 Meter langen Gänge zum Sanitär-Gebäude.
Tags darauf fegt der angekündigte Starkwind durch den Hafen Gager, wie über die gesamte Insel Rügen, bereits die Nacht war sehr unruhig.
Zeit für eine “Bergtour”. Die Rügener Berge, das sind unter anderem die grünen Hänge hinter den vielen schönen Strohdachhäusern, die zusammen genommen den Ort Gager bilden. Der Weg hinauf führt am Fischhändler vorbei, der heute… ganztägig geschlossen hat. Auf den Hängen weidet eine Schafsherde, oben angekommen kann ich mich beinahe mit vollem Gewicht gegen den Wind lehnen, ohne umzufallen. Vereinzelt sind auch andere Wanderer unterwegs. Trotz reduzierter Sicht ist der Blick von hier oben einmalig. Mit keiner Kamera der Welt einzufangen. Die Greifswalder Oie ist zu sehen, Ruden, der Zicker See. Hier, im Hafen Thiessow lag nurie im vergangenen Jahr…Ich steige hinab Richtung Lobbe, möchte den Wind dort sehen, wo er die Insel zuerst trifft, am Oststrand. Auf dem Weg dorthin sind zwei ausgelaufene Sandalen an eine Kiefer genagelt, “Latschenkiefer” steht darunter. Zuerst will ich die Schuhe fotografieren, lasse es dann aber doch sein. Stattdessen fotografiere ich wenig später eine Schnitzerei an einem Balancier-Balken. Und die örtliche Grundschule. Und einen Strand-Wegweiser. Und ein Ausrufezeichen der örtlichen Fischer.
Zurück an Bord koche ich Świderki eliche. Was das wohl sein mag? Es schmeckt ausgezeichnet. Und der Wind lässt nach. Wie weit wird es Morgen gehen? Geeignete Startpunkte nach Dänemark sind Barhöft oder die Insel Hiddensee. Wenn ich rechtzeitig zur Brückenöffnung um 14:20 Uhr in Stralsund bin, müsste wenigstens Barhöft zu erreichen sein…
14. Mai Swinoujscie – Gager (Rügen)
Ortswechsel können Wunder bewirken. Wer immer das behauptete, er hatte recht.
Der Wind heute ist wirklich günstig, Nordost 4-5 Beaufort wie angekündigt. Und es ist sonnig seit dem Ablegen. Die Temperatur liegt um die 10 Grad. Und: die Ostsee begrüßt nurie und mich mit Wellenhöhen von einem bis anderthalb Metern. Laut Angaben der Windfinder-App. Ich tue mich mit der Einschätzung von Wellenhöhen immer etwas schwer und behelfe mir daher mit Umschreibungen: So hoch sind die Wellen, dass der nicht stattliche finnische Segler von mehr als zehn Metern Länge, der gestern kurz vor Dunkelheit in Swinouscje einlief und heute nicht lange nach mir startete, als er nurie etwa 2 Seemeilen vor dem Hafen nahe an Steuerbord überholt in den Wellentälern immer wieder bis über Deck außer Sicht gerät. Und so hoch, dass auch auf Halbwindkurs immer wieder eine bis zu mir an der Pinne in die Plicht klatscht. Nach zwei Stunden bin ich im Grunde schon ausreichend nass und erschöpft für diesen Tag. Und friere auch hinreichend. Die Plätze unmittelbar links und rechts neben der Pinne sind auf Am Wind- und Halbwindkursen sehr zugig. Zeit also, den Pinnenausleger ins Spiel zu bringen. Damit kann ich mich auf der Backskiste sitzend vor Wind und Welle verstecken. Wunderbar. Eine halbe Stunde später friere ich nicht mehr, eine Stunde später hat die Sonne meine Jacke größtenteils getrocknet. Mein Blick wandert beständig zwischen Usedomer Ostküste und GPS-Kompass hin und her. Und dazwischen: bezaubernd schöne tausend Farben blau.
Erster Wegpunt für heute ist die Tonne ODAS O, Kurs 317 Grad, dann geht es zwischen Greifswalder Oie und der Insel Ruden in den Greifswalder Bodden. Zuerst hatte ich Sassnitz und somit eine Umrundung Rügens gegen den Uhrzeigersinn erwogen, dann aber umentschieden. Ab morgen Mittag soll der Wind bis Übermorgen auf 7 und mehr Windstärken zulegen. Da müsste ich mich sehr beeilen, wollte ich noch rechtzeitig um Rügens Nordspitze Kap Arkona herumzukommen. Und Starkwind bis Sturm aus Nordost bis Ost will ich lieber unter Landschutz abwarten.
Außerdem bin ich heute später losgekommen als geplant. Nach Windprognose, den Erfahrungen gestern und aus Respekt vor der Ostsee wollte ich heute mit gerefftem Großsegel starten. Das neue Segel hat keine Reffreihe, daher stand ich um sechs Uhr früh am Steg, tauschte die Segel aus und band das Reff in unser altes Segel. Wie ein sehr alter Lappen fasst sich das im Vergleich zu dem neuen Segel an, dachte ich dabei. Und eine verschlissene Naht an einer der Lattentaschen fiel mir auf. Ich klebte HeavyDuty-Segeltape darüber, bereitete alles weitere und mich mit Kaffee und Müsli vor, legte um 8:23 Uhr ab, und setzte die Segel noch vor der Mole. Die Ostseemündung Swinoujscie ist breit genug dazu, auch bei stärkeren Strömungen und weit und breit war noch kein anderes Schiff unterwegs. Auch die genaue Einschätzung der Windstärke fällt mir schwer und ein Windmesser zählt nicht zur Bordausrüstung. Wieder eine Umschreibung: stark genug wehte es, um nuries altes Großsegel, kaum hochgezogen und noch nicht dichtgeholt, erneut an der dritten Refföse aufzureißen. Wie schon vor zwei Jahren in Ustka. Unsere Reparatur und Verstärkung der Nähte hat im letzten Jahr von Anfang bis Ende gehalten, was sind das für Winde hier in diesem Jahr? Gut jedenfalls, zwei Segelsätze mitzuführen. Der Zwischenfall entmutigt mich nicht, im Gegenteil. Ich fahre zurück in den Hafen, tausche erneut die Segel, lege um 9:38 wieder ab und setze beide Segel an exakt derselben Stelle, diesmal allerdings unter den Blicken von Matrosen eines einlaufenden polnischen Marineschiffs.
Gegen 15 Uhr liegt die Greifswalder Oie an Steuerbord, die Insel Ruden an Backbord und ich habe mich entschieden, den Hafen Gager anzusteuern und dort den vorhergesagten Starkwind abzuwarten.
Ich komme vor nurie an. Das geht so. Mit Strömung von Achtern auf den Steg zu treibend, der Motor ist bereits aus, befestige ich zuerst eine Heckleine am Poller, um nurie vor dem Steg zu bremsen. Dann springe ich mit einer Vorleine in der Hand auf den Steg. Dabei rutscht mir diese allerdings aus der Hand und nurie driftet in Strömungsrichtung etwas seitlich nach Backbord vom Steg weg. Dort ist genügend Platz, kein Problem. Nur kann ich nicht mehr an Bord. Auf einem kleinen Trollingboot auf der Rückseite des Steges entdecke ich einen Bootshaken und versuche die ins Wasser hängende Vorleine zu erwischen, als der Hafenmeister auf dem Rasenmäher vorbeifährt und sich erkundigt, was genau ich da tue. “Ich warte auf mein Boot” sage ich und frage, ob er mit einem längeren Bootshaken aushelfen kann. Nach knapp zehn Minuten ist er zurück, mit einer langen Holzlatte, an deren Spitze er einen Nagel befestigt hat. Damit erwischen wir die Holzleine und nurie ist jetzt auch in Gager. Nach meinem ersten Eindruck ein guter Platz, um einen kleinen Sturm abzuwettern. Und von misslichem Start und verzögerter Ankunft ungetrübt ein durchweg schöner erster Ostsee-Segeltag.