
Es geht weiter im 20 und 300-Modus. Um 10:53 Uhr ist Abfahrt. Ein wenig Unruhe ist wieder dabei, wie bei jedem Ablegen, mal mehr, mal weniger, je nach Zielort, Distanz, Wind, Wetter, etc. Heute noch eher mehr, an Tag 2 unter Segeln, da ich voraussichtlich wieder gegenan muss, bei 4-5 Beaufort. Swinoujscie will ich heute erreichen, alternativ besteht jederzeit die Möglichkeit, nach Westen abzudrehen, nach Altwarp etwa, Ückermünde, Mönkebude oder Karnin, sollte Kurs Swinoujscie für nurie und/oder mich zu fordernd sein. Der Wind pfeift und im Hafen steht schon eine ordentliche Welle und ich nehme den kleinen Umweg über die südöstliche Hafenausfahrt in Kauf, um beim Segel setzen noch etwas Landschutz vor dem Haff zu haben. Etwa eine halbe Meile vom Seichtgebiet südöstlich des Hafens entfernt ziehe ich die Segel hoch und drehe ab in Richtung der beiden großen Tonnentürme der Haffeinfahrt. In der Karte ist die Tiefe hier ausreichend angegeben. Auf halbem Weg zu den Tonnen setzt nurie trotzdem auf, zweimal, dreimal. Dank Strömung und Wellenhöhe sind wir schnell wieder in tieferem Wasser. Die nächsten Wenden leite ich entsprechend lange vor den in der Karte angegebenen Flachstellen ein, bleibe im betonnten Fahrwasser, bis Trzebiez weit achteraus liegt. Gegen ordentlichen Wind das Haff hinauf ist für eine Analyse der Grundberührung keine Zeit.
Jetzt, dank der Weite des Haffs werden die Kreuzschläge länger. Nurie läuft wunderbar, beständig und flott im Wechsel nach Nordost und Nordwest unter faszinierendem Himmel: Es ist, als erhöben sich an den Haffufern ringsum unsichtbare, wolkenundurchlässige Mauern. Ein großes Loch ist über dem Wasser in die Wolkendecke gerissen, von Sonnenstrahlen eingebrannt. Im Lichtkegel pflügt sich ein kleines Holzboot eine Bahn nach Norden. Vielleicht wollte uns die Sonne zuschauen. Oder es ist ein am Stettiner Haff häufiger auftretendes Wetterphänomen. Oder beides.
Als ich zum dritten Mal gewendet habe und zwischen dem zweiten und dritten Leuchtfeuerpaar an Steuerbord des Schifffahrtweges liege – die Fußreling an Steuerbord im Wasser – höre ich von der Mastspitze ein Geräusch, das da nicht hingehört – etwa, wie das Auslösen einer Schleuder oder eines Bogens, und sehe auch schon die Windfahne mitsamt Antenne durch die Luft fliegen und – nurie in voller Fahrt, sehr schnell geht das alles – im Haff versinken. Erschrocken, verärgert und verunsichert. Erschrocken, soeben noch bester Dinge und dann das. Verärgert über mich. Da habe ich mir so lange den Kopf zerbrochen, wie die Windfahne an der Antenne befestigt werden muss ohne auch nur einen Moment zu bedenken, ob die Befestigung der Antenne der zusätzlichen Belastung standhält. Offensichtlich nicht. Verunsichert: Wenn schon vier bis fünf Windstärken auf dem Haff die Antenne abreißen können, was kann dann auf der Ostsee noch alles passieren?
Als die Kaiserfahrt erreicht ist, atme ich auf. Und denke nicht daran, den Kanal aufzukreuzen, berge die Segel und motore bis Swinoujscie. Auch hier, in dem großen und geräumigen Hafen, ist die Vorsaison deutlich spürbar. Außer den Dauerliegern im vorderen Bereich liegen noch kaum Boote in den Boxen. Als ich mich beim Hafenmeister anmelde verlängert ein deutsches Seglerpaar vor mir ihren Aufenthalt um zwei Tage. So viel Zeit will ich mir hier nicht lassen. Die Prognose für morgen ist günstig, zwar nicht weniger Wind, aber aus Nordost. Gut, nach Rügen zu kommen. 23 Seemeilen in 7 1/2 Stunden waren das heute. Die Etappe morgen wird länger. Fröstelnd in der Kajüte studiere ich die Karte. Eine heiße Dusche schafft Abhilfe. Ganz ist die Verunsicherung durch den Antennenverlust noch nicht verschwunden. Aber in Fahrt war das unmöglich zu verhindern. Und für morgen winkt besserer Wind. Allmählich kehrt er zurück, der Optimismus. Ärgerlich ist der Verlust der Antenne, aber nichts, das dem weiteren Vorankommen hinderlich und nicht zu reparieren wäre. Es war ein Fehler, die Windfahne daran zu befestigen. Die beiden winzig kleinen Sechskantschrauben, welche die Antenne in ihre Halterung klemmten waren dafür nicht stark genug. In Zukunft kann ich das hoffentlich besser sehen und einschätzen. Fast noch mehr ärgert mich der Verlust der Windfahne, die nurie so gut stand. Mehrere Stunden Näharbeit für Miri und ich brauche zwei Tage und sie ist dahin…
Von dem Zwischenfall um 14:16 Uhr abgesehen ist aber auch dieser zweite Segeltag sehr gut gelungen. Die Bedingungen waren zumindest ruppig und nurie meisterte den Kreuzkurs ausgezeichnet. Und freut sich auf die Ostsee.