13. Mai Trzebiez – Swinoujscie

Quelle: GoogleEarth, Track nurie

Es geht weiter im 20 und 300-Modus. Um 10:53 Uhr ist Abfahrt. Ein wenig Unruhe ist wieder dabei, wie bei jedem Ablegen, mal mehr, mal weniger, je nach Zielort, Distanz, Wind, Wetter, etc. Heute noch eher mehr, an Tag 2 unter Segeln, da ich voraussichtlich wieder gegenan muss, bei 4-5 Beaufort. Swinoujscie will ich heute erreichen, alternativ besteht jederzeit die Möglichkeit, nach Westen abzudrehen, nach Altwarp etwa, Ückermünde, Mönkebude oder Karnin, sollte Kurs Swinoujscie für nurie und/oder mich zu fordernd sein. Der Wind pfeift und im Hafen steht schon eine ordentliche Welle und ich nehme den kleinen Umweg über die südöstliche Hafenausfahrt in Kauf, um beim Segel setzen noch etwas Landschutz vor dem Haff zu haben. Etwa eine halbe Meile vom Seichtgebiet südöstlich des Hafens entfernt ziehe ich die Segel hoch und drehe ab in Richtung der beiden großen Tonnentürme der Haffeinfahrt. In der Karte ist die Tiefe hier ausreichend angegeben. Auf halbem Weg zu den Tonnen setzt nurie trotzdem auf, zweimal, dreimal. Dank Strömung und Wellenhöhe sind wir schnell wieder in tieferem Wasser. Die nächsten Wenden leite ich entsprechend lange vor den in der Karte angegebenen Flachstellen ein, bleibe im betonnten Fahrwasser, bis Trzebiez weit achteraus liegt. Gegen ordentlichen Wind das Haff hinauf ist für eine Analyse der Grundberührung keine Zeit.
Jetzt, dank der Weite des Haffs werden die Kreuzschläge länger. Nurie läuft wunderbar, beständig und flott im Wechsel nach Nordost und Nordwest unter faszinierendem Himmel: Es ist, als erhöben sich an den Haffufern ringsum unsichtbare, wolkenundurchlässige Mauern. Ein großes Loch ist über dem Wasser in die Wolkendecke gerissen, von Sonnenstrahlen eingebrannt. Im Lichtkegel pflügt sich ein kleines Holzboot eine Bahn nach Norden. Vielleicht wollte uns die Sonne zuschauen. Oder es ist ein am Stettiner Haff häufiger auftretendes Wetterphänomen. Oder beides.
Als ich zum dritten Mal gewendet habe und zwischen dem zweiten und dritten Leuchtfeuerpaar an Steuerbord des Schifffahrtweges liege – die Fußreling an Steuerbord im Wasser – höre ich von der Mastspitze ein Geräusch, das da nicht hingehört – etwa, wie das Auslösen einer Schleuder oder eines Bogens, und sehe auch schon die Windfahne mitsamt Antenne durch die Luft fliegen und – nurie in voller Fahrt, sehr schnell geht das alles – im Haff versinken. Erschrocken, verärgert und verunsichert. Erschrocken, soeben noch bester Dinge und dann das. Verärgert über mich. Da habe ich mir so lange den Kopf zerbrochen, wie die Windfahne an der Antenne befestigt werden muss ohne auch nur einen Moment zu bedenken, ob die Befestigung der Antenne der zusätzlichen Belastung standhält. Offensichtlich nicht. Verunsichert: Wenn schon vier bis fünf Windstärken auf dem Haff die Antenne abreißen können, was kann dann auf der Ostsee noch alles passieren?


Als die Kaiserfahrt erreicht ist, atme ich auf. Und denke nicht daran, den Kanal aufzukreuzen, berge die Segel und motore bis Swinoujscie. Auch hier, in dem großen und geräumigen Hafen, ist die Vorsaison deutlich spürbar. Außer den Dauerliegern im vorderen Bereich liegen noch kaum Boote in den Boxen. Als ich mich beim Hafenmeister anmelde verlängert ein deutsches Seglerpaar vor mir ihren Aufenthalt um zwei Tage. So viel Zeit will ich mir hier nicht lassen. Die Prognose für morgen ist günstig, zwar nicht weniger Wind, aber aus Nordost. Gut, nach Rügen zu kommen. 23 Seemeilen in 7 1/2 Stunden waren das heute. Die Etappe morgen wird länger. Fröstelnd in der Kajüte studiere ich die Karte. Eine heiße Dusche schafft Abhilfe. Ganz ist die Verunsicherung durch den Antennenverlust noch nicht verschwunden. Aber in Fahrt war das unmöglich zu verhindern.  Und für morgen winkt besserer Wind. Allmählich kehrt er zurück, der Optimismus. Ärgerlich ist der Verlust der Antenne, aber nichts, das dem weiteren Vorankommen hinderlich und nicht zu reparieren wäre. Es war ein Fehler, die Windfahne daran zu befestigen. Die beiden winzig kleinen Sechskantschrauben, welche die Antenne in ihre Halterung klemmten waren dafür nicht stark genug. In Zukunft kann ich das hoffentlich besser sehen und einschätzen. Fast noch mehr ärgert mich der Verlust der Windfahne, die nurie so gut stand. Mehrere Stunden Näharbeit für Miri und ich brauche zwei Tage und sie ist dahin…
Von dem Zwischenfall um 14:16 Uhr abgesehen ist aber auch dieser zweite Segeltag sehr gut gelungen. Die Bedingungen waren zumindest ruppig und nurie meisterte den Kreuzkurs ausgezeichnet. Und freut sich auf die Ostsee.

12. Mai Szczecin – Trzebiez

Bildquelle: GoogleEarth, Track: nurie

Da ist er, der lang ersehnt erste Segeltag dieser Reise. Er bewegt sich konstant zwischen zwei Zahlen: 20 und 300. Der Wind kommt dort her, wo ich hin will, das heißt Aufkreuzen und in diesem Fall mit den Kursen 20 Grad auf Steuerbord- 300 Grad auf Backbordbug.
Um 10:51 Uhr starte ich den Handy-Rekorder und lege ab. Am Südufer des Dabie-Sees ist Modell-Segelboot-Regatta, wie am Vortag schon. “Trze, dwa, jeden…” höre ich aus dem Lautsprecher am Steg, drei der wenigen mir bekannten polnischen Worte. “Tak”, eines der Wichtigsten, wie in Dänemark, aber anders, spreche ich leise und fröhlich bei jeder Wende vor mich hin. Auf englisch. Hin und her geht es den See hinauf, nachdem die Segel gesetzt sind. Bis um 13:47 Uhr. Dann wende ich knapp vor dem nördlichsten Stellnetz des Sees, sage “bye, bye, Jezioro Dabie” und laufe in die Oder ein.
Ab jetzt wird es wieder enger, entsprechend häufiger muss ich wenden. An den engsten Stellen im Minutentakt und darunter. Der Wind weht ordentlich und nurie läuft mit viereinhalb bis fünf Knoten nach Norden, kurz ist auch immer wieder mal eine sechs dabei.
Ins Papenwasser einlaufend nimmt der Wind noch ein wenig zu, die Wellen werden höher und sind mit ersten Ansätzen von Schaumkronen verziert. Mittlerweile sind kaum noch Wolken am Himmel. Das macht die Fahrt nicht wärmer, aber vermutlich weniger kalt. Die von Miri genähte Windfahne an der Antenne zeigt mir zuverlässig den scheinbaren Wind und sieht dazu sehr viel hübscher aus, als ein Windex-Pfeil, wie ich finde.

Gegen 15:30 kann ich die beiden Türme der Haffeinfahrt erkennen, für heute ist davor Schluss. Noch eine, noch zwei, noch drei Wenden, dann nehme ich das Großsegel weg und fahre nur mit Fock noch knapp 4 Knoten schnell bis kurz vor die Hafeneinfahrt Trzebiez. Um 17:19 Uhr liegt nurie fest.
Viel Platz ist im Hafen. Einige Segler stehen noch aufgebockt an Land. Bisher lag nurie hier nur längsseits an anderen Booten, diesmal ist ein Großteil der Pier frei. Vorsaison. Eine neue Schwimmsteganlage wurde im nördlichen Hafenbecken installiert. Und ein neuer Zaun darum herum. Der kleine Lebensmittelladen, der einzige im Dorf, hat auch Sonntags geöffnet und zwei frische Tomaten für mich.
In der späten Dämmerung Blicke ich zufrieden voraus auf das Haff und zurück auf nuries erste
24,8 Seemeilen 2019. In sechseinhalb Stunden. Nicht eben schnell. 53 Wenden brauchen ihre Zeit. Und nurie sowieso. Und ich auch.

9.- 11 Mai Hafentage in Szczecin

An der Stabholzdecke in der Kajüte bildet sich nachts, bzw. wenn das Niedergangsschott gesteckt ist durch meinen Atem Kondenswasser. Nach einem langen Regentag und wenn ich mich exakt richtig positioniere kann es passieren – ein wenig glücklicher Zufall vorausgesetzt, dass genug für einen ganzen Tropfen zusammenkommt, der mir dann, mitten in der Nacht, genau ins Zentrum meiner linken Ohrmuschel fällt.
Der 9. und 10. Mai sind schnell zusammengefasst: Regen, Regen, Regen. Zur Freude des Aufbruchs gesellt sich ein wenig Bedrückung.
Nass und kalt auf dem engen und niedrigen und vollgepackten Raum der Kajüte beschränke ich mich auf Hin- und Herräumen, Kochen und die Erledigung einiger unter diesen Umständen möglicher Aufgaben auf der aktuellen Liste. Ich klebe einen Riss in der Bb-Saling mit Epoxy und bringe die von Miri genähte Windfahne an der Antenne an. Der Hafen ist wie ausgestorben. Als der Regen am Samstag Vormittag aussetzt, erwacht er, es stellt sich heraus, dass die vielen so verlassen wirkenden Boote keineswegs verlassen wurden. Plötzlich wird überall gearbeitet. Auch am Mastkran: nuries Mast wird gestellt. Ein polnischer Segler hilft beim Befestigen der Wanten aus und erklärt, er habe auf einem Folkeboot mit dem Segeln begonnen. Many years ago. Als ich dem Hafenmeister zu verstehen gebe, er möge kurz unterbrechen, damit ich das Antennenkabel befestigen kann, wechselt er einen Blick mit dem polnischen Skipper und sie lachen und ich verstehe nur: Achterstag. Jawohl, ich führe das Antennenkabel nicht den Mast entlang nach unten, sondern um das Achterstag gewickelt. Das dauert eine Weile. Der Hafenmeister nimmt sich einen Stuhl und schaut eine Weile zu, dann geht er fort und ist wieder da, als ich fertig bin. Kaum steht der Mast, stellt sich heraus, dass ich doch wieder einen Fehler gemacht habe: zwar läuft das Großfall richtig, nur seitenverkehrt, hinten ist vorn, das heißt, das hintere Ende ist zwisschen den Salingen gefangen, muss also noch einmal darüber zurück gefädelt werden. Ich versuche es zuerst mit dem Benzinkanister als Ballast, dann mit langem Bootshaken auf dem Kranfuß stehend. Als der Hafenmeister mein Maleur bemerkt holt er kurzerhand einen Bootsmanstuhl und hebt mich mit dem Kran auf die Saling. Alles kein Problem. Großartig, wie das hier läuft, im AJK Szczecin. Zurück in der Box schließe ich das Funkgerät ans Bordnetz an. Es funktioniert tadellos. Auf verschiedenen Kanälen höre ich polnische Funksprüche und verstehe: nichts. “WARNING Face Cover must be removed when vehicle is moving at high speed” steht auf einem roten Kleber an der Innenseite der Funkgerät-Abdeckung. Ohne zu wissen weshalb gefällt mir der Satz.
Später fahre ich noch in die Stadt und kaufe ein, was am dringendsten nötig ist: Spülschwämme und Handcreme, Kälte und Nässe haben meinen Fingern zu schaffen gemacht. Zurück am Boot versuche ich noch erfolglos, GPS und Funkgerät zusammenzuschließen.
Samstag kommen Miri und ihre Mutter Gabi spontan aus Berlin nach Szczecin und bringen Sonne und gute Laune mit und vertreiben meine Regen- und Kälteverstimmung, wenn eine solche denn vorhanden war. Und wir unternehmen beides: eine Runde mit nurie auf dem Dabie-See und eine kleine City-Tour Szczecin. Noch einmal Abschied nehmen, doch diesmal nur für drei Wochen.
Meine Anspannung steigt stündlich. Die neuen bzw. wie neu vor vier Wochen gebraucht erworbenen Segel stehen gut, haben wir auf dem Dabie festgestellt. Allerdings ohne Wind. Habe ich an alles gedacht? Nord 3-4 Beaufort sind für morgen angesagt. Möglicherweise also doppelter Weg und doppelte Zeit bis Trzebiez. Und dann wie weiter? Auf die Frage, wo die Reise denn hingehen wird, habe ich vorab meist geantwortet: mal sehen, mal sehen, wie das Boot ist, woher der Wind weht, Norwegen wäre schön, aber nach Nordosten auch, also zuerst einmal Kattegat hoch…
Also mal sehen, für morgen bestimmt zunächst noch der Oderlauf den Kurs. Und – in der Koje liegend, einmal mehr zwei bis dreilagig gekleidet und mit Mütze, spüre ich es ganz deutlich, er schwebt hier irgendwo herum, der Zauber allen Anfangs.

8.Mai 2019, Zützen-Szczecin

Wieder in Szczecin. Für nurie ist das wohl wie nachhause kommen, jedenfalls seit 2016: in den Hafen, der seit drei Jahren Start- und Endpunkt ihrer Ostseetörns ist. Zur feierlichen Stunde stehen zwei Graureiher Spalier, als wir um 17:34 Uhr von der Regalica um die Ecke in den Hafen des Akademischen Yacht Clubs einfahren. Der Hafenmeister steht am Steg bereit, macht die Vorleine fest und es ist -als wäre ich kaum eine Woche weg gewesen – alles wie im letzten Jahr. Herzlich und schön und entspannt. Der Hafen ist schon ganz gut gefüllt, jedoch bin ich wohl einer der ersten “Berliner” hier in dieser Saison. Ja, wochenends und werktags ab 17 Uhr ist die Bombenfundstelle wieder passierbar antworte ich auf die Nachfrage des Hafenmeisters und wir vereinbaren das Mast stellen für Übermorgen.

Die Fahrt von Zützen hierher verlief problemlos und unspektakulär. Habi überholte noch einmal, schon auf der Westoder. Die Klützer Querfahrt musste der Außenborder gegen Wind und Strömung kräftig schieben. Trotzdem hat er für die gesamte Strecke von Werder nach Szczecin mit starker Unterstützung der Strömung keine 20 Liter Benzin verbraucht, ein neuer Rekord. 22 Liter fasst der externe Tank, weitere 10 Liter habe ich noch in einem zusätzlichen Kanister dabei. Mit der Erfahrung der Vorjahr war ich davon ausgegangen, um Schwedt herum einmal nachtanken zu müssen. Zwei weitere persönliche Rekorde sind zu vermelden: Erstens bin ich erstmalig ohne Hafengebühren nach Szczecin gekommen. Und deswegen und da es so frostig in den vorigen Jahren auch nicht zuging freue ich mich jetzt auf eine warme Dusche (wie sich herausstellt wieder kostenlos: die Duschmarke, die ich vom letzten Jahr mitgebracht habe, benötige ich gar nicht, weil die Dusche noch vier rote Warmwasser-Striche anzeigt). Zweitens und wegen des nicht vorhandenen Anlandesteges in Zützen war ich noch nie solange ohne Landgang an Bord von nurie bzw. überhaupt auf einem Boot. Mit dieser Sensation gelingt mir, Miri am Telefon zum lachen zu bringen.

Jetzt kann es also richtig los gehen! Glücklich, wieder in Szczecin zu sein, wieder in der Koje liegend gegen Masten schlagende Fallen zu hören schlafe ich ein.

7. Mai 2019 Hafen Malz – Anleger Zützen

7.5.
Habis Motor ist nicht sonderlich laut, trotzdem werde ich gegen halb sechs wach, als Harry und Birte und ein weiteres Motorbot ablegen. Eine Stunde später ist auch nurie wieder unterwegs, nachdem ich die im Malzer Hafen aufgebockte Solar Explorer entdeckt und bestaunt habe. Die Sonne scheint aus wolkenlosem Himmel, Morgennebel zieht über den Kanal, es ist frostig und wunderschön und gemächlich fließt nurie immer nahe am backbordseitigen, sonnigen Kanalufer mit Kanalströmung und Zeit in eine Richtung. Der ausgetauschte Ruckdämpfer der Außenborderhalterung sitzt und hält tadellos. Ich bin glücklich und zufrieden, denke dies und das, zurück und voraus, schaue lange hier und dort hin, summe vor mich hin. Da sind sie, das Gefühl, richtig zu sein und die Heiterkeit, und ab und an auch ein kleiner Unsinn: Vorbei am WSA Eberswalde übe ich den Satz “ich habe gar kein UKW- Binnenfunk” auszusprechen, wie ein Französisch-Muttersprachler, was naturgemäß nicht gelingen kann. Dennoch winkt mir der hiesige Revierförster oder ein als hiesiger Revierförster verkleideter Spaziergänger freundlich zu. Es ist 10 Uhr 10 und KRIS-1 aus Szczecin schiebt Altmetall in Richtung Berlin. Und zur Erklärung: hier auf dem Kanal bin ich froh, nicht jede Begegnung mit einem Berufsschiffer per Funk absprechen zu müssen…

Bei KM 70 der HOW im Stadtgebiet Eberswalde treffe ich um 1125 Habi wieder. Vor einer Brücke haben Harry und Birte festgemacht, wer weiß, vielleicht haben sie sich bereits Eberswalde angesehen. Ich drossele kurz die Geschwindigkeit und teile Harry mein heutiges Tagesziel mit: einer der öffentlichen Anleger zwischen Oderberg und Schwedt.
Bei KM 84 entstehen viele neue Prachtbauten, ein hocherrschaftliches Haus oder fast schon eine Burg, Kolonie Teufelsberg steht in der Karte und mein Daumenabdruck zur Bildschirm-Entsperrung des Handys wird nicht mehr erkannt.
Vor dem Schiffshebewerk Niederfinow muss ich ca. 15 Minuten warten, dann wird nurie gemeinsam allein mit dem Ausflugsdampfer Klabautermann in der riesigen Schiffsbadewanne abwärts gefahren. Der Schiffshebewerk-Neubau nebenan sieht wiederum noch neuer aus als im Vorjahr. “Der BER Brandenburgs” lese ich kurz vorher noch auf der Seite einer regionalen Tageszeitung. Ursprünglich war die Eröffnung 2014 geplant. Nun ist ein Testbetrieb für Herbst 2019 angekündigt. Vielleicht fährt nurie also zurück im neuen Aufzug? Ich bin gespannt. In einem Punkt allerdings unterscheidet sich der Schiffshebewerk-Neubau allerdings gravierend vom Hauptstadtflughafen: am Budget haben die Verzögerungen der Fertigstellung nichts geändert.
Klabautermann liegt kurz vor der Schleuse Hohensaaten entladen festgemacht am Fahrgastschiff-Anleger. Also muss ich die Schleusenleitung alleine stören. Sofort nach der Anmeldung öffnet sich das Klapptor. Auf der Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße angekommen sind die von mir für die Übernachtung ins Auge gefassten Anleger nicht mehr weit entfernt. Ich entscheide mich für den letzten: Stützkow, und somit für die geringste Distanz bis Szczecin morgen. Vor zwei Jahren verbrachte ich bereits eine Nacht dort. Als ich da bin ist er fort. Zwar stehen die Pfähle noch, der Steg jedoch wurde abgebaut. Oder noch nicht wieder angebracht, wird er möglicherweise jeden Winter entfernt? Es ist mir nun gleichgültig, Schwedt als nächste Haltemöglichkeit erreiche ich vor der Dunkelheit nicht mehr und umkehren mag ich nicht und so mach ich kurzerhand an den Pfählen fest. Der Abendspaziergang fällt aus, baden müsste ich hierfür, und dazu sind mir Wasser und Nächte noch zu kalt.

6. Mai 2019 Schleuse Schönwalde – Hafen Malz

Boot fahren ist nicht ganz wie Fahrrad fahren. Man kann beispielsweise nicht in eine Straße hineinfallen. Und: der Radverkehr ist i.d.R. schleusenfrei. Das soll keine Ausrede zum heutigen Tagesbeginn sein…

Um 9 Uhr nahm die Schleuse Schönwalde ihren Betrieb wieder auf. Knapp eine Stunde vorher legt das Motorboot Habi hinter nurie an. Harry und Birte, zwei Dänen (wie nurie), sind bereits von Dänemark aus ab Lübeck auf deutschen Kanälen unterwegs. Wir kommen ins Gespräch, Harry lädt mich bis zur Schleusenöffnung ein, an Bord von Habi zu kommen, und ich freue mich über die Wärme dort. Wir tauschen Reisepläne und Erfahrungen aus und schon zeigt die Schleusenampel das Einfahrt-frei-Signal (grün:-). Der Wroclawer Schieber ist eingefahren, ich folge, will rechts hinter ihn, er liegt links, der Schleusenwärter winkt mich ebenfalls nach links, alles wird plötzlich hektisch und eng, Habi ist schon an der rechten Schleusenmauer, nurie schlingert, weil ich mit Rückwärtsgang versuche, vom Schubverband-Sog freizubleiben, und schließlich wischt nuries Mast über Habis Deck. Nicht wahr? Doch.
Zerknirscht fahre ich aus der Schleuse. Zwar habe ich, als ich kurz auf Habis Deck linste, keinen Schaden erkennen können und Birte winkte auch gleich ab, als ich Adresse und Versicherung aufschreiben wollte. Trotzdem. Warum überhaupt muss ich gleich die erste Schleusung mitmachen, wo doch Oranienburg ohnehin erst nach 17 Uhr passiert werden kann? Dumm und nicht mehr zu ändern gleichzeitig.
Viel zu früh und als einziges Boot weit und breit fahre ich in am Niederneuendorfer See vorbei. Wo warten? Zuerst biege ich in den Veltener Stichkanal ein, in der Karte ist dort ein Sportboothalteplatz verzeichnet. echt ist dort nun eine Fabrik mit Halteverbootsschildern. Etwas dahinter mache ich kurz unter einer Brücke fest. Auch nicht ideal. Schließlich wieder auf der Havel bemerke ich, dass einer der vier Ruckdämpfer der Motorhalterung stark an seiner Befestigung reißt, die Schraube ist schon zu sehen. Gegen 13 Uhr lege ich mit minimaler Geschwindigkeit an der Marina Havelbaude an und wähle die Rufnummer des Hafenmeisters. -Ja klar kann ich die zwei hier Stunden warten.
Um halb sehs haben wir die Gefahrenstelle passiert. Die telefonische Auskunft vom Wasser- und Schiffahrtsamt lautete: wenn nurie einen geschlossenen Steuerstand bzw. die Möglichkeit, von unter Deck zu steuern, können wir zu den veröffentlichten Zeiten passieren. Mit der verlängerten Pinne und eingezogenem Kopf steuere ich die kaum zweihundert Meter aus der Kajüte, einem Schubverband hinterher. Keinerlei Kontrolle.
An der Lehnitzer Schleuse wartet unter anderen bereits auch Habi. Harry will eine Flasche Rotwein als Entschuldigung für den Vorfall am Morgen nicht annehmen, aber ich bestehe darauf. Als letzter und sehr langsam einfahrend geht die Schleusung wie sie soll. Etwa eine Stunde später im Hafen Malz angekommen dämmert es bereits. Kühl ist es sowieso. Trotzdem mache ich mich noch an die Reperatur des Ruckdämpfers. Wie sich herausstellt ist die Metallplatte aus dem Gummipfropfen gerissen. Ein identischer Ersatz ist nicht an Bord, aber ein wenig Kürzerer (ich hatte damals zwei verschieden lange Ruckdämpfer-Sets besorgt, weil ich unschlüssig war, welche Länge richtig ist), sowie eine passende, längere Schraube. Ich säge ein kleines Stück Sperrholz aus und überbrücke damit den Höhenabstand zu den anderen drei Dämpfern. Nicht schön aber hält. Sehr fest. Doch noch etwas gut gemacht heute. Fröstelnd verschwinde ich im Schlafsack.

5. Mai 2019 Werder(Havel)-Schleuse Schönwalde

So war das schon mal nicht geplant: frohen Mutes, noch vor 18 Uhr die Oranienburger Sperrstelle hinter uns lassen zu können erreichen wir gegen 15 Uhr die Schleuse Schönwalde. Schon sind wir in Rufweite zum Uferradweg, da ruft auch gleich eine Radfahrerin: “Hier passiert heute nichts mehr. Sonntag und Donnerstag ist die Schleuse ganztägig geschlossen. Stand in unserer Zeitung.” Oha. In unserer (der gegoogelten) nicht. So endet hier also nuries erster Kanaltag 2019. Nicht an geplanter, aber an schöner Stelle, wie mich ein kurzer Landspaziergang schnell überzeugt. Vor allem, vom Generator des ebenfals auf Schleusung wartenden Wroclaver (Preslauer) Schubverbandes abgesehen: ruhig.

Hier der Tag von vorn: Nahe am Gefrierpunkt sind wir, als wir morgens aus unserem großen (zwei zu einem verbunden) Schlafsack kriechen. Allerdings ist es sonnig und wolkenlos, sowohl in uns als um uns. Endlich los! Kein dies noch und das noch erledigen mehr? Keine Bedenken mehr, was ich, was wir uns hier vorgenommen haben? Ob alles gut geht? Und wohin? Und danach? Sicher nicht. Sowohl die zahlreichen Aufgaben am und ums Boot und der Reiseplanung wie auch die größeren und kleinen Grübeleien um unsere lange Auszeit werden immer, mal mehr, mal weniger mit an Bord sein. Aber es gibt nun endlich kein zurück mehr in einen anderen Alltag. Die lange Vorbereitung ist zu Ende, die lange Reise beginnt.Um halb zehn legen wir ab, gleich nach der Morgentoilette und dem ersten Urlaubskaffee (Miri hat sich leicht überreden lassen und trinkt auch: Instant-Kaffee 1 Löffel, Kakao 1 Löffel, Zucker 1 Würfel). Noch kühler als am Vorabend, auf Thomas Geburtstagsparty im Hafen, und in der Nacht ist es auf dem Zernsee und der Potsdamer Havel Wind und Strömung entgegen. Nachdem wir nahe Ketzin in den Havelkanal eingebogen sind löst mich Miri am Steuer ab und ich schlüpfe mit zwei dicken Pullovern und Jacke in den Schlafsack und friere immer noch.Ab jetzt fast strömungsfrei geht es mit immer 3-4 Knoten voran. Fröstelnd, leicht erschöpft aber glücklich sind wir hier mit Ausnahme weniger Angler weit und breit das einzige Boot. Umso mehr Angler säumen das Ufer. Nahe Alt-Brieselang scheint ein Wettangeln stattzufinden, mit Signal gebendem Kampfrichter. Wir bestaunen die Längen der Angelruten, vier bis sieben Meter schätze ich. Eine knappe Stunde vor der Schleuse sitze ich wieder an der Pinne und kurz darauf passiert doch noch etwas nicht Erfreuliches: während ich die Ersatzpinne als Verlängerung mit Spanngurt an die Steuerpinne binde, verliere ich für einen Moment das Ufer aus den Augen und schon schrammt nurie über Grund. So plötzlich der Aufsetzer, so schnell ist das Boot auch wieder in der Fahrrinne und dem Schrecken folgt der Ärger über meine Nachlässigkeit. Miri hatte noch gefragt: “Brauchst du meine Hilfe?” Verspätete Einsichten als die Schleuse in Sicht kommt. Und dann ist hier also für heute Schluss. Ein wenig ärgerlich auch das, schließlich kann die Bombenfundstelle Oranienburg morgen erst wieder nach 17 Uhr passiert werden, bis dahin brauche ich etwa 4 Stunden. Das heißt einen Tag später in Szczecin sein. Nicht so schlimm. Aber wie kommt Miri jetzt zurück nach Berlin?Die nächste Bushaltestelle ist ca. 3 Kilometer entfernt und nachdem ich das abmontierte Schloss wieder ans Steckschott geschraubt habe machen wir uns auf den Weg, vorbei an Modellbaufliegern nach Schönwalde, Haltestelle Straße der Jugend. Für einen Monat die letzte Umarmung. Viel zu früh ist der Bus da. Und Miri fort. Zurück an Bord koche ich, was zuerst weg muss: Konserven noch vom Vorjahr. Starre auf die rote Schleusenampel. Befestige drei Dot-It-LEDs unter dem Schapp der Steuerbordkoje. Und krieche in den Schlafsack. Wenn auch nicht ganz, wie geplant: ein guter Start.

Start? Klar!

Habe ich mir das auch gut überlegt? Ja und nein. Ich bin dieser Frage ausgewichen, indem ich kaum jemand von meinem Vorhaben berichtete. Neige ich doch selbst häufig zu Einwänden und Gegenargumenten.
Nein. Ich bin noch nie mit einem Kielboot, noch nie auf dem Meer, weder auf der Ostsee noch sonst auf See gesegelt… „Start? Klar!“ weiterlesen