Winterlager 2019/2020: Mast, Planke, Weiteres und Übliches

Mastsanierung und Plankentausch, das Übliche und Weiteres: Das war nuries Winterlager 2019/2020. Im Einzelnen:

Mastsanierung

Direkt nach unserer langen Reise haben wir uns im Herbst 2019 als erste Winterlagerarbeit den Mast vorgenommen. Sämtliche Beschläge abmontiert und gereinigt, dann den “Spargel” mit Abziehklinge, Spachtel und Heißluftfön aus dem Lack geschält. Die zahlreichen schwarzen Flecken saßen erfreulicherweise nur sehr oberflächlich am Holz und ließen sich leicht wegschaben oder schleifen. An etwas dickeren Flecken kam einer dieser Hand-Reibehobel zum Einsatz. So herausgeputzt sah der Mast fast wie frisch geleimt aus. Nach 7 mal Lackieren und dem Wiederverschrauben der Beschläge überließen wir ihn dem Winterschlaf.

Plankentausch

Vor der Saison, im Frühjahr 2020 wagten wir uns dann erstmals an den Austausch von Holz am Rumpf. Wenn die Steuerborddeckskante bei Schräglage ins Wasser tauchte, drang eindeutig zu viel davon ins Boot. Die Oberkante der Decksplanke auf Höhe des Püttingeisens war unter der Scheuerleiste auf ca einem halben Meter Länge weich geworden. Beim Herauspulen wurde das Loch immer größer. Und so wich der ursprüngliche Plan, ein Pass-Stück in die Planke einzukleben, dem Projekt, gleich ein ganzes Plankenstück zu ersetzen.

Für unsere Premiere des Austauschs eines Plankenstücks (zum Ausprobieren…) war der Schaden an der obersten Steuerbordplanke nicht die übelste Stelle. Einerseits liegt keine weitere Planke oberhalb, was das Abnehmen und – da nur eine Landung zu berücksichtigen ist – die Einpassung erleichtert. Außerdem weist die Decksplanke mittschiffs eine geringe Krümmung auf. Und so ließ sich der Austausch auch (fast) mit unserer begrenzten Werkzeugausstattung bewältigen. Nur einen Nietenkopfmacher und Niethammer haben wir neu erworben. Das neue Plankenstück aus Kiefer war dann wieder zum Großteil eine Wohnzimmerproduktion, zur Sicherheit in zweifacher Ausführung.

Das Übliche und Weiteres…

Neben den beiden größeren Arbeiten stand auch Anfang 2020 wieder die übliche Arbeit an. Unterwasserschiff abschleifen, Risse spachteln und neues Antifouling streichen. Überwasserplanken lackieren und Wasserlinie malen.

Außerdem habe ich den Heckspiegel diesmal ganz frei gelegt, gespachtelt, neu grundiert und lackiert. Dabei wurde eine Überraschung sichtbar: ein weiterer, uns noch unbekannter früherer Bootsname. <<Nurie>> hat also (mindestens) drei “Vornamen”: <<Sirocco>>, der Erstname, <<Gecko>> und zuletzt <<Blaubär>>.

14.-15. Juni 2019: Lille Kornö – Kungshamn – Havsten

Trotz Antibiotika-Pillen und -Salbe hat sich meine Schienbeinwunde nach dem Sturz in Skagen weiter entzündet. Kein schöner Anblick. Ich muss also auch in Schweden noch einmal zum Arzt. Die nächste vårdcentral ist in Kungshamn. In zwei Stunden sind wir dort. Zehn Minuten Fußweg, kaum zehn Minuten Wartezeit und weitere zehn Minuten später hat eine freundliche schwedische Krankenschwester die übrigen Fäden aus der offenen Wunde entfernt. Schmerzhaft, aber eine große Erleichterung. Zur Feier des Tages essen wir auswärts: im hafennahen Pizza- und Kebapimbiss.

Der folgende Tag beschert uns viel Sonne und guten Segelwind. Zu gut, um den Sotenkanal zu befahren. Mag der schmale Kanal landschaftlich noch so reizvoll sein, Segeln ist hier verboten, und so drehen wir vorher ab hinaus auf das Skagerrak. Und bemerken es nicht: das ist nuries Premiere, mit uns auf dem Skagerrak. Auch den Hamburgsund lassen wir Hamburgsund sein und fahren erst wieder mit Ansteuerung des Leuchtturms Väcker in die Schären.

Irgendwo um Havsten herum wollen wir ankern. Die Auswahl fällt nicht leicht, ein Platz ist schöner als der andere. Wir sehen uns alles an, fahren weit in den Sannäsfjord hinein, drehen um und machen direkt am Fels an der Ostseite von Havsten fest. Im Vorbeifahren hatten wir die Lücke entdeckt. Sie erweist sich als tief genug und wie für nurie gemacht. Bug- und heckseitig sind dicke Ringe in den Felsen zementiert. Wegen naher Unterwasserkabel bringen wir keinen Anker aus. Der Wind weht jedoch ablandig und laut Prognose ist bis Morgen keine Änderung zu erwarten. Die erste “Heckleinenwache” übernimmt spontan eine Möwe. Pesto-Nudeln gibt es trotzdem nur für uns. Die Badesaison starten wir noch nicht, obwohl, warm genug sind sowohl Luft als auch Wasser… Aber mit meinem Schienbein habe ich einen klaren Hinderungsgrund und Miri bleibt solidarisch.

11.-13. Juni 2019: Stillingsøn – Henan – Lilla Kornö

Von Stillingsøn aus geht es weiter gegen den Uhrzeigersinn um Orust herum. Die Abstände zwischen den Häfen sind hier gering und so lassen wir unser Tagesziel offen. Seit dem Ablegen zieht nurie eine dicke, graue Wolkenfront hinter sich her, vorbei an den vielen kleinen und großen Schären mit ihren hübschen kleinen Leuchtfeuern und Markierungen. Streng genommen sind Schären zwischen Orusts Ostküste und Festland eher die Ausnahme, stattdessen ist alles voller “Holmen”: Flatholmen, Kullholmen (lille und store), Björkholmen, Lindholmen, Oxholmen, Ekholmen, Hallholmen, Aspholmen, Tjällholmen, Krakholmen, Kollholmen,Brunnefjällsholmen, Korstensholmen, Bockholmen, Langholmen, Vadholmen, Bockholmen… Von wegen Schärenküste! Wir sinnieren über die Namensgebung der unzähligen Felseninseln. Ob wohl ein Stein eine bestimmtes Mindestmaß haben muss, um einen Namen zu erhalten? “Lindholmen” scheinen besonders häufig zu sein. Wie viele Inseln dieses Namens es auf der Welt wohl geben mag? Mehr als hundert, schätze ich. Und Miri bemerkt, das wäre ein Kandidat für die beliebte deutsche Samstagsabend-Show der 90er-Jahre gewesen, der sämtliche Schären der schwedischen Küste anhand eines Fotos mit Namen nennen kann.

Als wir hinter Brattön nach Westen abbiegen, holt uns die Wolkenfront ein. Zwar werden wir nun etwas nass, aber gegen den Regen haben wir unsere “Feuerwehrhüte” (Südwester) und dafür haben wir nun halben bis achterlichen Wind. Nur unter Fock passieren wir die hohe Brücke über den Nötesund. Der Regen nimmt zu und es wird diesig, wir beschließen, Henan anzulaufen. Dort angekommen ziehen wir die neue Hafenpersenning über den Baum, die leider schon unschöne Flecken aufweist, da ich sie vor der Abfahrt aus Neuendorf nass verstauen musste. Sie bleibt auch den ganzen folgenden Tag über dem Cockpit. Dichter Nebel und viel Regen halten uns in Henan fest. Und die Bordelektronik. Stundenlang versuche ich herauszufinden, weshalb die Batterie nicht aufgeladen wird und erst am Abend finde ich des Rätsels Lösung, als das an die Kabeltrommel angeschlossene Tablet beim Umschalten des Ladegeräts in den Lademodus immer wieder aufhört zu laden: weder ist die Batterie defekt, noch das Ladegerät und auch kein angeschlossener Verbraucher ziehen zuviel Strom. Der Stromanschluss am Steg liefert zu wenig!

Am Donnerstag klart es zunehmend auf und es geht weiter durch die Schären nach Lilla Kornö. Wir starten noch in dichtem Grau und erleben am Abend im malerischen Hafen von Klein-Kornö einen wolkenlosen Sonnenuntergang. Zum ersten Mal kommt die digitale Version unserer Seekarte zum Einsatz. Nuries exakte Position auf der Seekarte, Tiefenlinien und Betonnung ständig im Blick ist die Fahrt durch die engen Fahrwasser keine große Kunst. Dennoch würde sich an Passagen, wo wir die Felswände beinahe mit den Händen berühren können, ein Versteuern innerhalb weniger Sekunden rächen. Mit auf 2 Knoten reduzierter Fahrt schleicht nurie die engsten Stellen der eindrucksvollen Landschaft von Strömmarna entlang. Kurz überlegen wir, an Bassholmens Varv anzulegen. Wir merken den kleinen Hafen dann aber doch nur auf unserer Liste künftiger Reiseziele vor und fahren weiter, über den Gullmarn genannten Fjord, an Lysekill vorbei nach Lille Kornö. Die Schäreninseln in der Umgebung unterscheiden sich mit ihrem rötlichen Schimmer deutlich von den grauen Felsen um Marstrand.

Der Hafen Lille Kornö liegt nach allen Seiten windgeschützt. Wir trinken Kaffee auf der Mole, die Hafenpersenning neben uns zum trocknen ausgebreitet. Zwei Familien legen mit Motorbooten an und fahren nach einem kurzen Spaziergang wieder ab, als der Hafenmeister nach kurzer Ausfahrt mit seinem Fischkutter zurückkehrt. Eine rüstige Schwedin badet vor dem Fischerhafen. Weitere Hafengäste und Bewohner der gut ein Duzend Holzhäuser auf Lille Kornö bekommen wir nicht zu sehen. Einmal mehr – so scheint es – haben wir eine postkartenidyllsche Insel (fast) ganz für uns allein.

10. Juni 2019: Marstrand-Stillingsøn(Orust)

Mit der Insel Orust haben wir unter wolkenlosem Himmel ein Ziel dieser Reise schon erreicht: die Baustätte unseres Folkeboots. 1966 wurde nurie hier von Mats Seldén gebaut. Insgesamt baute Seldén zwischen 1962 und 1968 144 Folkeboote, das heißt ca. 20 Stück jährlich, wie auf “julleregister.se” zu erfahren ist. Wo genau, das wissen wir leider nicht. Orust ist Schwedens drittgrößte Insel und als eines der Hauptzentren des schwedischen Bootsbaus voller Werften. Aber wir haben den Klassenbrief als Anhaltspunkt. “Rövenäs Stillingsøn” steht dort unter “Byggested”. Stillingsøn finden wir schnell auf unserer Seekarte, allerdings ist dort kein Hafen verzeichnet. Eine Satellitenaufnahme zeigt aber, dass doch zumindest Anlegemöglichkeiten vorhanden sind. Mit “Rövenäs”- der Klassenbrief ist in dänischer Sprache verfasst – wird zweifellos Buvenäs gemeint sein, die Gemeinde, zu der auch Stillingsøn zählt.

Wir beschließen, Stillingsøn direkt anzusteuern. Und finden dort tatsächlich einen sehr schönen kleinen Hafen mit ausreichend Tiefgang. Die Hafenmeisterin ist nicht vor Ort, heißt uns aber am Telefon willkommen und informiert uns auf deutsch über den Hafen. Von einer Werft in der Nähe, die in den 60er-Jahren Folkeboote baute, weiß sie leider nichts, ebensowenig wie der Werftarbeiter, der früh am nächsten Morgen ein Motorboot slippt. Allerdings kommt ihm der Name Mats Seldén bekannt vor und er kennt jemanden aus der Gegend, den wir anrufen können, “who is more into old wooden boats, and might know…”

Leider ist unter der Telefonnummer niemand zu erreichen. Wir machen uns zu Fuß auf die Suche. Zwei Kilometer vom Hafen entfernt ist eine Bushaltestelle. Auf den nächsten Bus nach Buvenäs müssten wir eine Stunde warten. Und auch in Buvenäs wüssten wir nicht, wohin wir uns wenden könnten… Wir entscheiden uns, weiterzureisen.

Auch wenn wir nicht mehr herausfinden konnten, als wir schon wussten: wir waren hier! Auf Orust, in Stillingsøn, dort, wo einst Niete um Niete durch nuries Planken getrieben wurde. Und – wer weiß – vielleicht ja genau hier, in der alten Scheune der Allmags Varv Stillingsøn, vor der wir gestern mit einem Topf Pasta und einer Flasche Rotwein unseren ersten Schären-Segeltag dieser Reise ausklingen ließen…

8. Juni 2019: Skagen-Marstrand

Schneller, jedoch weniger trocken als erwartet sind wir in Schweden angekommen.

Weil im Tagesverlauf zunehmender Wind vorhergesagt war, starteten wir um 7:20 Uhr, nach unserem gut einstündigen morgendlichen Ritual: Hafentoilette aufsuchen, Kaffee und Frühstück, Tee für den Tag aufbrühen und nurie startklar machen. Gewohnheiten in stets ungewohnter Umgebung. Noch im Vorhafen setzte leichter Regen ein, vor der Mole begrüßten uns laut Windprognose-App signifikante 70 Zentimeter (die signifikante Wellenhöhe bezeichnet das arithmetische Mittel des höchsten Drittels der Wellen in einem Seegang). Zunächst wehte der Wind noch aus Ost bis Südost, im Tagesverlauf drehte er südlicher und nahm zu. Auch der Regen. Das bedeutete für uns: Nässe von vorn abnehmend, Nässe von oben zunehmend. Das Kattegat, als wir erstmals nichts anderes mehr sehen, präsentiert sich uns trübe mit wenig Blau, viel Grau und Weiß. Steuern erfordert unter diesen Bedingungen volle Aufmerksamkeit und wie immer, wenn wir unter ruppigeren Bedingungen unterwegs sind, unterlasse ich fotografieren und filmen. Etwa 3 Meilen vor unserem Wegpunkt, dem Leuchtturm Hätteberget, regnet es nicht mehr, dafür legt der Wind noch einmal etwas zu.

Nach gut sechseinhalb Stunden und knapp 35 Seemeilen liegt nurie kurz nach 14 Uhr sicher vertäut im Hafen Marstrand. Wir haben einiges zu trocknen und so hissen wir zunächst nasse Kleidung, dann aber unverzüglich die schwedische Gastlandflagge…

Ein erster Inselrundgang inklusive kurzem Übersetzer nach Koön mit der Fähre macht uns schnell klar, weshalb sich Marstrand nicht nur unter Seglern außerordentlicher Beliebtheit erfreut. Unser nächstes Ziel steht längst fest: die Insel Orust. Aber ist Marstrand nicht viel zu schön, um nur einen halben Tag hier zu verweilen?

Reisegeschwindigkeit

Auf See wird in Knoten gerechnet. Diese Einheit lässt sich auf wirkliche Knoten zurückführen, geknüpft in eine tatsächliche Leine, die früher von Booten ins Wasser gelassen wurden, um die Geschwindigkeit zu berechnen.

Am Besten lässt sich unsere Reisegeschwindigkeit vielleicht mit Vergleichen aus dem “normalen” Leben beschreiben. Spaziert der Wind beispielsweise mit 3,6 km/h durch die Luft, dann sind das umgerechnet 1 m/s oder 1 Beaufort. nurie kommt dann nicht wirklich voran. Wenn der Wind anfängt zu joggen (10 km/h oder 2,8 m/s oder 2 Beaufort), sieht es kaum anders aus. Und steigt der Wind aufs Rad (20 km/h oder 5,5 m/s oder 4 Beaufort), dann kommt nurie – stimmen Windrichtung, Welle und Strömung mit unserem Kurs überein – schon mal auf 7 Knoten. 7 Knoten wiederum sind 3,4 m/s oder 3 Beaufort oder 12,2 km/h.

nurie hat in diesem Sommer einmal 10,2 Knoten gemacht. Das geht jedoch nur bei anschiebender Welle und Böe. Unsere höchste gesichtete Reisegeschwindigkeit waren demnach 19,5 km/h … das hört sich sehr gemütlich an, auf dem Meer mit nurie fühlen sich solche Geschwindigkeiten aber wirklich schon sehr rasant an.

Die Beaufortskala, in der auch die Windgeschwindigkeit gemessen wird, reicht von 0 bis 12, wobei 0 Beaufort (Windstille) bis 1 Knoten und 12 Beaufort (Orkan) ab 65 Knoten Geschwindigkeit sind. nurie fährt also im unteren Viertel der Beaufortskala. Wir selbst machen uns bis zu einer vorhergesagten Windgeschwindigkeit von 6 Beaufort auf den Weg, ab 7 Beaufort beginnt der “steife Wind” und ab 9 Beaufort der Sturm (20,8 m/s bzw. 75 km/h). Während die Beaufortskala bei 12 Beaufort/64 Knoten/32,7 m/s bzw. ca. 165 km/h aufhört, kann der Wind noch viel doller pfeiffen – ein Hurrikan bringt es auf 250 km/h, das sind 70 Meter in der Sekunde.

nurie und wir sind meist in Jogginggeschwindigkeit auf dem Wasser unterwegs, eine wirklich angenehme Reisegeschwindigkeit.

Fragen beim Segeln

Siehst du die grüne Tonne/den Leuchtturm/die Hafeneinfahrt?
Was ist denn das da?
Ist es tief genug?

Und vor allem immer wieder: Wie wird der Wind? Und wie wird die Welle?

Diese Fragen stellen wir uns an Bord häufig. Tonnen, Bojen und sonstige Seezeichen, die angesteuert oder umfahren werden wollen, gibt es reichlich auf See. Markiert werden Fahrrinnen, Untiefen, Einfahrten. Es ist also äußerst wichtig, sie zur rechten Zeit im Blick zu haben. Da kommt es dann auch auf die Lichtverhältnisse an … ist es spät geworden und geht die Sonne gerade hinter dem Hafen unter, sieht man nicht viel. Oft spiegelt sich die Sonne in den Wellen oder verschwimmen Himmel und Meer in einem Grauton ineinander. Dann ist es ebenfalls schwer, Tonnen und Bojen auszumachen. Diese sind in den verschiedenen Ländern der Ostsee auch recht unterschiedlich gebaut, in Deutschland eher dick und fett, in Schweden etwas schlanker und in Norwegen sehr spartanisch – eine kleine Laterne mit einem Farbkleks irgendwo. Aber am Ende ist es immer gleich – alles Wichtige erkennen wir früh genug.

Was ist denn das da, gehört bei uns auch fest ins Fragenrepertoire. Aus einem imaginären Kriegsschiff wird später eine Insel und aus der fantasierten Skyline einer Stadt Dickschiffe, die vor Anker liegen. Ob wir an der Südküste Norwegens wirklich an einem U-Boot vorbeigefahren sind, werden wir wohl nie erfahren.

Ist es tief genug? Diese Frage kommt auf, wenn wir ankern möchten. Unser Tiefenmessgerät/Fischfinder hat zu Beginn unserer Reise einmal kurz geflimmert, dann haben wir ihn nicht mehr eingeschaltet. Dank elektronischen Seekarten wissen wir recht genau, wieviel Wasser nurie noch unter dem Kiel hat, in der Realität fahren wir mit ihr jedoch einfach auf einen Felsen zu. Da schauen wir dann lieber selbst über den Bug, um zu beurteilen, ob es tief genug ist. Das fällt mal mehr und mal weniger leicht. Den Bug machen wir dann an vorhandenen Ringen, Nägeln usw. fest. Vorher werfen wir den Anker übers Heck aus.

Die wichtigste Frage lautet aber immer wieder, wie wird der Wind. Der entscheidet nämlich, wie viele Seemeilen wir am nächsten Tag zurücklegen können, wie schräg Schrägstrich nass der Schlag wird, wie wir uns anziehen und ob wir gegen den Wind kreuzen müssen oder der Wind uns vor sich hertreibt.

Versorgung und Leben

In Polen gibt es keinen Brennspiritus für unseren Herd, in Norwegen keine H-Milch. Ohne Kühlschrank an Bord muss Rüdi seinen Kaffee mit Pulver weißen und Müsli gibt es gerade nur ausnahmsweise zum Frühstück.

Wir trinken hier kleine 0,3-l-Hafenbiere aus der Dose für 2,5 € (wohlgemerkt nicht in einer urigen oder gar hippen Hafenbar, sondern zu Hause auf nurie, das Bier gekauft im Supermarkt). Die norwegische Regierung achtet jedoch nicht nur in Sachen weicher Drogen darauf, dass solche Späße ordentlich Geld kosten, auch Süßigkeiten sind leider unglaublich teuer. Das schmerzt die Vorschoterin sehr.

Wie gut, dass zum Standardeinkauf stets immer auch Gurke, Eisbersalat, Erdbeeren und Zwiebeln gehören, die sind verhältnismäßig nicht sooo teuer. Und die selbstgefangenen Makrelen, die zwei- bis dreimal pro Woche auf den Tisch kommen, gibt es umsonst.

Wir zahlen meist wenig (weniger als in S oder DK) für den Hafen und teilweise kostet es gar nichts. Vor allem nicht, wenn wir ankern oder an einer Boje oder einem Mooring Bolt festmachen. Geschützte Plätze sind in der Karte verzeichnet, auch unser Norwegenbuch bietet hilfreiche und ausführliche Infos. Es gibt auch öffentliche Friluftsomrade mit Stegen zum Anlegen oder kommunale Bryggen, wo meist auch kostenlos angelegt werden kann.

Die Norweger leben am und im Meer, hier hat fast jeder ein Boot, die meisten mit Motor. Angler treiben meist in ihrer Schale ohne Fahrt über guten Angelstellen, viele andere kosten ihre xx-xxx PS voll aus und ziehen hohe Wellen hinter sich her. Da ist es nicht verwunderlich, dass sich hier viele mit Motoren auskennen. Äußerst praktisch, wenn man selbst mit Motorproblemen zu kämpfen hat. Unser Miraculix hat ja doch irgendwann den Geist aufgegeben, den neuen gebrauchten Yamaha mit 6 PS haben wir noch nicht getauft.

Aber wie sollten die Leute hier sich auch sonst von Ort zu Ort bewegen? Wir haben den Eindruck gewonnen, dass hier einfach alle ein schönes Häuschen am Wasser mit fantastischem Blick besitzen. Und diese Häuschen liegen auf den zahlreichen Schären und Inseln. Auch gibt es an vielen Supermärkten einen Kurzzeitliegeplatz für Boote von Kunden. Mit dem Boot geht es einfach meist am schnellsten und ist auch am schönsten.

Von Inseln und Ängsten

Im letzten Jahr haben Rüdi, nurie und ich elf Inseln besucht. In diesem Jahr hat Rüdi natürlich schon mehr als ich und sicherlich bereits mehr als elf zusammen.
Læsø und Hirsholmene in Dänemark, Marstrand, Orust, Havsten, Lilla Kornö und Süd-Koster in Schweden und Stutsholmene sowie Skjernøy in Norwegen, das ist meine bisherige Ausbeute.

Inseln sammeln ist schön.

Wir sind in Norwegen angekommen, einem der Ziele unserer Reise. Und dann ausgerechnet in Verdens Ende (Ende der Welt)! Wir sind trotzdem weitergefahren: Kattegat und Skagerrak liegen hinter uns, die Westküste Norwegens und der Atlantik nun vor uns. Auch Lindesnes und Lista sind umrundet, an diesen Küstenabschnitten treffen die Ostsee und der Atlantik aufeinander.

Vor diesen Schlägen hatte ich sehr viel Respekt und auch Angst. Denn mich plagen leider Ängste, die ich bisher nicht kannte. Vielleicht liegt es am Revier, denn in den Karten steht oft ‘dangerous waves’ oder aber ‘most dangerous Norwegian coastline’ oder ‘no shelter for 30 sm’. Das ist nicht gerade beruhigend.

Aber dann ist es doch wie immer, Rüdi bringt mich/uns sicher in den nächsten Hafen. Die Warnhinweise gelten denn auch für Windstärken, bei denen wir mit unserem Folkeboot eh nicht rausfahren würden. Meine Ängste muss ich unbedingt bald überwinden.

Eine Insel, die immer ganz in der Nähe ist, sollte dabei helfen: unsere Rettungsinsel. (Bei der ich ebenfalls stets und völlig grundlos in Sorge bin, dass sie sich einfach von selbst aufbläst.)

Jetzt freue ich mich hier im Flekkefjord einfach auf die nächste Insel, die Rüdi, nurie und ich zusammen entdecken werden.

Ankerplatz Havsten
Verdens Ende
Skjernøy
Flekkefjord

14. Mai Swinoujscie – Gager (Rügen)

Ortswechsel können Wunder bewirken. Wer immer das behauptete, er hatte recht.
Der Wind heute ist wirklich günstig, Nordost 4-5 Beaufort wie angekündigt. Und es ist sonnig seit dem Ablegen. Die Temperatur liegt um die 10 Grad. Und: die Ostsee begrüßt nurie und mich mit Wellenhöhen von einem bis anderthalb Metern. Laut Angaben der Windfinder-App. Ich tue mich mit der Einschätzung von Wellenhöhen immer etwas schwer und behelfe mir daher mit Umschreibungen: So hoch sind die Wellen, dass der nicht stattliche finnische Segler von mehr als zehn Metern Länge, der gestern kurz vor Dunkelheit in Swinouscje einlief und heute nicht lange nach mir startete, als er nurie etwa 2 Seemeilen vor dem Hafen nahe an Steuerbord überholt in den Wellentälern immer wieder bis über Deck außer Sicht gerät. Und so hoch, dass auch auf Halbwindkurs immer wieder eine bis zu mir an der Pinne in die Plicht klatscht. Nach zwei Stunden bin ich im Grunde schon ausreichend nass und erschöpft für diesen Tag. Und friere auch hinreichend. Die Plätze unmittelbar links und rechts neben der Pinne sind auf Am Wind- und Halbwindkursen sehr zugig. Zeit also, den Pinnenausleger ins Spiel zu bringen. Damit kann ich mich auf der Backskiste sitzend vor Wind und Welle verstecken. Wunderbar. Eine halbe Stunde später friere ich nicht mehr, eine Stunde später hat die Sonne meine Jacke größtenteils getrocknet. Mein Blick wandert beständig zwischen Usedomer Ostküste und GPS-Kompass hin und her. Und dazwischen: bezaubernd schöne tausend Farben blau.

Erster Wegpunt für heute ist die Tonne ODAS O, Kurs 317 Grad, dann geht es zwischen Greifswalder Oie und der Insel Ruden in den Greifswalder Bodden. Zuerst hatte ich Sassnitz und somit eine Umrundung Rügens gegen den Uhrzeigersinn erwogen, dann aber umentschieden. Ab morgen Mittag soll der Wind bis Übermorgen auf 7 und mehr Windstärken zulegen. Da müsste ich mich sehr beeilen, wollte ich noch rechtzeitig um Rügens Nordspitze Kap Arkona herumzukommen. Und Starkwind bis Sturm aus Nordost bis Ost will ich lieber unter Landschutz abwarten.
Außerdem bin ich heute später losgekommen als geplant. Nach Windprognose, den Erfahrungen gestern und aus Respekt vor der Ostsee wollte ich heute mit gerefftem Großsegel starten. Das neue Segel hat keine Reffreihe, daher stand ich um sechs Uhr früh am Steg, tauschte die Segel aus und band das Reff in unser altes Segel. Wie ein sehr alter Lappen fasst sich das im Vergleich zu dem neuen Segel an, dachte ich dabei. Und eine verschlissene Naht an einer der Lattentaschen fiel mir auf. Ich klebte HeavyDuty-Segeltape darüber, bereitete alles weitere und mich mit Kaffee und Müsli vor, legte um 8:23 Uhr ab, und setzte die Segel noch vor der Mole. Die Ostseemündung Swinoujscie ist breit genug dazu, auch bei stärkeren Strömungen und weit und breit war noch kein anderes Schiff unterwegs. Auch die genaue Einschätzung der Windstärke fällt mir schwer und ein Windmesser zählt nicht zur Bordausrüstung. Wieder eine Umschreibung: stark genug wehte es, um nuries altes Großsegel, kaum hochgezogen und noch nicht dichtgeholt, erneut an der dritten Refföse aufzureißen. Wie schon vor zwei Jahren in Ustka. Unsere Reparatur und Verstärkung der Nähte hat im letzten Jahr von Anfang bis Ende gehalten, was sind das für Winde hier in diesem Jahr? Gut jedenfalls, zwei Segelsätze mitzuführen. Der Zwischenfall entmutigt mich nicht, im Gegenteil. Ich fahre zurück in den Hafen, tausche erneut die Segel, lege um 9:38 wieder ab und setze beide Segel an exakt derselben Stelle, diesmal allerdings unter den Blicken von Matrosen eines einlaufenden polnischen Marineschiffs.
Gegen 15 Uhr liegt die Greifswalder Oie an Steuerbord, die Insel Ruden an Backbord und ich habe mich entschieden, den Hafen Gager anzusteuern und dort den vorhergesagten Starkwind abzuwarten.
Ich komme vor nurie an. Das geht so. Mit Strömung von Achtern auf den Steg zu treibend, der Motor ist bereits aus, befestige ich zuerst eine Heckleine am Poller, um nurie vor dem Steg zu bremsen. Dann springe ich mit einer Vorleine in der Hand auf den Steg. Dabei rutscht mir diese allerdings aus der Hand und nurie driftet in Strömungsrichtung etwas seitlich nach Backbord vom Steg weg. Dort ist genügend Platz, kein Problem. Nur kann ich nicht mehr an Bord. Auf einem kleinen Trollingboot auf der Rückseite des Steges entdecke ich einen Bootshaken und versuche die ins Wasser hängende Vorleine zu erwischen, als der Hafenmeister auf dem Rasenmäher vorbeifährt und sich erkundigt, was genau ich da tue. “Ich warte auf mein Boot” sage ich und frage, ob er mit einem längeren Bootshaken aushelfen kann. Nach knapp zehn Minuten ist er zurück, mit einer langen Holzlatte, an deren Spitze er einen Nagel befestigt hat. Damit erwischen wir die Holzleine und nurie ist jetzt auch in Gager. Nach meinem ersten Eindruck ein guter Platz, um einen kleinen Sturm abzuwettern. Und von misslichem Start und verzögerter Ankunft ungetrübt ein durchweg schöner erster Ostsee-Segeltag.