14.-15. Juni 2019: Lille Kornö – Kungshamn – Havsten

Trotz Antibiotika-Pillen und -Salbe hat sich meine Schienbeinwunde nach dem Sturz in Skagen weiter entzündet. Kein schöner Anblick. Ich muss also auch in Schweden noch einmal zum Arzt. Die nächste vårdcentral ist in Kungshamn. In zwei Stunden sind wir dort. Zehn Minuten Fußweg, kaum zehn Minuten Wartezeit und weitere zehn Minuten später hat eine freundliche schwedische Krankenschwester die übrigen Fäden aus der offenen Wunde entfernt. Schmerzhaft, aber eine große Erleichterung. Zur Feier des Tages essen wir auswärts: im hafennahen Pizza- und Kebapimbiss.

Der folgende Tag beschert uns viel Sonne und guten Segelwind. Zu gut, um den Sotenkanal zu befahren. Mag der schmale Kanal landschaftlich noch so reizvoll sein, Segeln ist hier verboten, und so drehen wir vorher ab hinaus auf das Skagerrak. Und bemerken es nicht: das ist nuries Premiere, mit uns auf dem Skagerrak. Auch den Hamburgsund lassen wir Hamburgsund sein und fahren erst wieder mit Ansteuerung des Leuchtturms Väcker in die Schären.

Irgendwo um Havsten herum wollen wir ankern. Die Auswahl fällt nicht leicht, ein Platz ist schöner als der andere. Wir sehen uns alles an, fahren weit in den Sannäsfjord hinein, drehen um und machen direkt am Fels an der Ostseite von Havsten fest. Im Vorbeifahren hatten wir die Lücke entdeckt. Sie erweist sich als tief genug und wie für nurie gemacht. Bug- und heckseitig sind dicke Ringe in den Felsen zementiert. Wegen naher Unterwasserkabel bringen wir keinen Anker aus. Der Wind weht jedoch ablandig und laut Prognose ist bis Morgen keine Änderung zu erwarten. Die erste “Heckleinenwache” übernimmt spontan eine Möwe. Pesto-Nudeln gibt es trotzdem nur für uns. Die Badesaison starten wir noch nicht, obwohl, warm genug sind sowohl Luft als auch Wasser… Aber mit meinem Schienbein habe ich einen klaren Hinderungsgrund und Miri bleibt solidarisch.

11.-13. Juni 2019: Stillingsøn – Henan – Lilla Kornö

Von Stillingsøn aus geht es weiter gegen den Uhrzeigersinn um Orust herum. Die Abstände zwischen den Häfen sind hier gering und so lassen wir unser Tagesziel offen. Seit dem Ablegen zieht nurie eine dicke, graue Wolkenfront hinter sich her, vorbei an den vielen kleinen und großen Schären mit ihren hübschen kleinen Leuchtfeuern und Markierungen. Streng genommen sind Schären zwischen Orusts Ostküste und Festland eher die Ausnahme, stattdessen ist alles voller “Holmen”: Flatholmen, Kullholmen (lille und store), Björkholmen, Lindholmen, Oxholmen, Ekholmen, Hallholmen, Aspholmen, Tjällholmen, Krakholmen, Kollholmen,Brunnefjällsholmen, Korstensholmen, Bockholmen, Langholmen, Vadholmen, Bockholmen… Von wegen Schärenküste! Wir sinnieren über die Namensgebung der unzähligen Felseninseln. Ob wohl ein Stein eine bestimmtes Mindestmaß haben muss, um einen Namen zu erhalten? “Lindholmen” scheinen besonders häufig zu sein. Wie viele Inseln dieses Namens es auf der Welt wohl geben mag? Mehr als hundert, schätze ich. Und Miri bemerkt, das wäre ein Kandidat für die beliebte deutsche Samstagsabend-Show der 90er-Jahre gewesen, der sämtliche Schären der schwedischen Küste anhand eines Fotos mit Namen nennen kann.

Als wir hinter Brattön nach Westen abbiegen, holt uns die Wolkenfront ein. Zwar werden wir nun etwas nass, aber gegen den Regen haben wir unsere “Feuerwehrhüte” (Südwester) und dafür haben wir nun halben bis achterlichen Wind. Nur unter Fock passieren wir die hohe Brücke über den Nötesund. Der Regen nimmt zu und es wird diesig, wir beschließen, Henan anzulaufen. Dort angekommen ziehen wir die neue Hafenpersenning über den Baum, die leider schon unschöne Flecken aufweist, da ich sie vor der Abfahrt aus Neuendorf nass verstauen musste. Sie bleibt auch den ganzen folgenden Tag über dem Cockpit. Dichter Nebel und viel Regen halten uns in Henan fest. Und die Bordelektronik. Stundenlang versuche ich herauszufinden, weshalb die Batterie nicht aufgeladen wird und erst am Abend finde ich des Rätsels Lösung, als das an die Kabeltrommel angeschlossene Tablet beim Umschalten des Ladegeräts in den Lademodus immer wieder aufhört zu laden: weder ist die Batterie defekt, noch das Ladegerät und auch kein angeschlossener Verbraucher ziehen zuviel Strom. Der Stromanschluss am Steg liefert zu wenig!

Am Donnerstag klart es zunehmend auf und es geht weiter durch die Schären nach Lilla Kornö. Wir starten noch in dichtem Grau und erleben am Abend im malerischen Hafen von Klein-Kornö einen wolkenlosen Sonnenuntergang. Zum ersten Mal kommt die digitale Version unserer Seekarte zum Einsatz. Nuries exakte Position auf der Seekarte, Tiefenlinien und Betonnung ständig im Blick ist die Fahrt durch die engen Fahrwasser keine große Kunst. Dennoch würde sich an Passagen, wo wir die Felswände beinahe mit den Händen berühren können, ein Versteuern innerhalb weniger Sekunden rächen. Mit auf 2 Knoten reduzierter Fahrt schleicht nurie die engsten Stellen der eindrucksvollen Landschaft von Strömmarna entlang. Kurz überlegen wir, an Bassholmens Varv anzulegen. Wir merken den kleinen Hafen dann aber doch nur auf unserer Liste künftiger Reiseziele vor und fahren weiter, über den Gullmarn genannten Fjord, an Lysekill vorbei nach Lille Kornö. Die Schäreninseln in der Umgebung unterscheiden sich mit ihrem rötlichen Schimmer deutlich von den grauen Felsen um Marstrand.

Der Hafen Lille Kornö liegt nach allen Seiten windgeschützt. Wir trinken Kaffee auf der Mole, die Hafenpersenning neben uns zum trocknen ausgebreitet. Zwei Familien legen mit Motorbooten an und fahren nach einem kurzen Spaziergang wieder ab, als der Hafenmeister nach kurzer Ausfahrt mit seinem Fischkutter zurückkehrt. Eine rüstige Schwedin badet vor dem Fischerhafen. Weitere Hafengäste und Bewohner der gut ein Duzend Holzhäuser auf Lille Kornö bekommen wir nicht zu sehen. Einmal mehr – so scheint es – haben wir eine postkartenidyllsche Insel (fast) ganz für uns allein.

10. Juni 2019: Marstrand-Stillingsøn(Orust)

Mit der Insel Orust haben wir unter wolkenlosem Himmel ein Ziel dieser Reise schon erreicht: die Baustätte unseres Folkeboots. 1966 wurde nurie hier von Mats Seldén gebaut. Insgesamt baute Seldén zwischen 1962 und 1968 144 Folkeboote, das heißt ca. 20 Stück jährlich, wie auf “julleregister.se” zu erfahren ist. Wo genau, das wissen wir leider nicht. Orust ist Schwedens drittgrößte Insel und als eines der Hauptzentren des schwedischen Bootsbaus voller Werften. Aber wir haben den Klassenbrief als Anhaltspunkt. “Rövenäs Stillingsøn” steht dort unter “Byggested”. Stillingsøn finden wir schnell auf unserer Seekarte, allerdings ist dort kein Hafen verzeichnet. Eine Satellitenaufnahme zeigt aber, dass doch zumindest Anlegemöglichkeiten vorhanden sind. Mit “Rövenäs”- der Klassenbrief ist in dänischer Sprache verfasst – wird zweifellos Buvenäs gemeint sein, die Gemeinde, zu der auch Stillingsøn zählt.

Wir beschließen, Stillingsøn direkt anzusteuern. Und finden dort tatsächlich einen sehr schönen kleinen Hafen mit ausreichend Tiefgang. Die Hafenmeisterin ist nicht vor Ort, heißt uns aber am Telefon willkommen und informiert uns auf deutsch über den Hafen. Von einer Werft in der Nähe, die in den 60er-Jahren Folkeboote baute, weiß sie leider nichts, ebensowenig wie der Werftarbeiter, der früh am nächsten Morgen ein Motorboot slippt. Allerdings kommt ihm der Name Mats Seldén bekannt vor und er kennt jemanden aus der Gegend, den wir anrufen können, “who is more into old wooden boats, and might know…”

Leider ist unter der Telefonnummer niemand zu erreichen. Wir machen uns zu Fuß auf die Suche. Zwei Kilometer vom Hafen entfernt ist eine Bushaltestelle. Auf den nächsten Bus nach Buvenäs müssten wir eine Stunde warten. Und auch in Buvenäs wüssten wir nicht, wohin wir uns wenden könnten… Wir entscheiden uns, weiterzureisen.

Auch wenn wir nicht mehr herausfinden konnten, als wir schon wussten: wir waren hier! Auf Orust, in Stillingsøn, dort, wo einst Niete um Niete durch nuries Planken getrieben wurde. Und – wer weiß – vielleicht ja genau hier, in der alten Scheune der Allmags Varv Stillingsøn, vor der wir gestern mit einem Topf Pasta und einer Flasche Rotwein unseren ersten Schären-Segeltag dieser Reise ausklingen ließen…

Versorgung und Leben

In Polen gibt es keinen Brennspiritus für unseren Herd, in Norwegen keine H-Milch. Ohne Kühlschrank an Bord muss Rüdi seinen Kaffee mit Pulver weißen und Müsli gibt es gerade nur ausnahmsweise zum Frühstück.

Wir trinken hier kleine 0,3-l-Hafenbiere aus der Dose für 2,5 € (wohlgemerkt nicht in einer urigen oder gar hippen Hafenbar, sondern zu Hause auf nurie, das Bier gekauft im Supermarkt). Die norwegische Regierung achtet jedoch nicht nur in Sachen weicher Drogen darauf, dass solche Späße ordentlich Geld kosten, auch Süßigkeiten sind leider unglaublich teuer. Das schmerzt die Vorschoterin sehr.

Wie gut, dass zum Standardeinkauf stets immer auch Gurke, Eisbersalat, Erdbeeren und Zwiebeln gehören, die sind verhältnismäßig nicht sooo teuer. Und die selbstgefangenen Makrelen, die zwei- bis dreimal pro Woche auf den Tisch kommen, gibt es umsonst.

Wir zahlen meist wenig (weniger als in S oder DK) für den Hafen und teilweise kostet es gar nichts. Vor allem nicht, wenn wir ankern oder an einer Boje oder einem Mooring Bolt festmachen. Geschützte Plätze sind in der Karte verzeichnet, auch unser Norwegenbuch bietet hilfreiche und ausführliche Infos. Es gibt auch öffentliche Friluftsomrade mit Stegen zum Anlegen oder kommunale Bryggen, wo meist auch kostenlos angelegt werden kann.

Die Norweger leben am und im Meer, hier hat fast jeder ein Boot, die meisten mit Motor. Angler treiben meist in ihrer Schale ohne Fahrt über guten Angelstellen, viele andere kosten ihre xx-xxx PS voll aus und ziehen hohe Wellen hinter sich her. Da ist es nicht verwunderlich, dass sich hier viele mit Motoren auskennen. Äußerst praktisch, wenn man selbst mit Motorproblemen zu kämpfen hat. Unser Miraculix hat ja doch irgendwann den Geist aufgegeben, den neuen gebrauchten Yamaha mit 6 PS haben wir noch nicht getauft.

Aber wie sollten die Leute hier sich auch sonst von Ort zu Ort bewegen? Wir haben den Eindruck gewonnen, dass hier einfach alle ein schönes Häuschen am Wasser mit fantastischem Blick besitzen. Und diese Häuschen liegen auf den zahlreichen Schären und Inseln. Auch gibt es an vielen Supermärkten einen Kurzzeitliegeplatz für Boote von Kunden. Mit dem Boot geht es einfach meist am schnellsten und ist auch am schönsten.

Von Inseln und Ängsten

Im letzten Jahr haben Rüdi, nurie und ich elf Inseln besucht. In diesem Jahr hat Rüdi natürlich schon mehr als ich und sicherlich bereits mehr als elf zusammen.
Læsø und Hirsholmene in Dänemark, Marstrand, Orust, Havsten, Lilla Kornö und Süd-Koster in Schweden und Stutsholmene sowie Skjernøy in Norwegen, das ist meine bisherige Ausbeute.

Inseln sammeln ist schön.

Wir sind in Norwegen angekommen, einem der Ziele unserer Reise. Und dann ausgerechnet in Verdens Ende (Ende der Welt)! Wir sind trotzdem weitergefahren: Kattegat und Skagerrak liegen hinter uns, die Westküste Norwegens und der Atlantik nun vor uns. Auch Lindesnes und Lista sind umrundet, an diesen Küstenabschnitten treffen die Ostsee und der Atlantik aufeinander.

Vor diesen Schlägen hatte ich sehr viel Respekt und auch Angst. Denn mich plagen leider Ängste, die ich bisher nicht kannte. Vielleicht liegt es am Revier, denn in den Karten steht oft ‘dangerous waves’ oder aber ‘most dangerous Norwegian coastline’ oder ‘no shelter for 30 sm’. Das ist nicht gerade beruhigend.

Aber dann ist es doch wie immer, Rüdi bringt mich/uns sicher in den nächsten Hafen. Die Warnhinweise gelten denn auch für Windstärken, bei denen wir mit unserem Folkeboot eh nicht rausfahren würden. Meine Ängste muss ich unbedingt bald überwinden.

Eine Insel, die immer ganz in der Nähe ist, sollte dabei helfen: unsere Rettungsinsel. (Bei der ich ebenfalls stets und völlig grundlos in Sorge bin, dass sie sich einfach von selbst aufbläst.)

Jetzt freue ich mich hier im Flekkefjord einfach auf die nächste Insel, die Rüdi, nurie und ich zusammen entdecken werden.

Ankerplatz Havsten
Verdens Ende
Skjernøy
Flekkefjord